Kap Verde oder Barbados?
Nach der verspäteten Ankunft auf den Kanaren geht es nun im nächsten Törn über den Atlantik in die Karibik. Die Frage ist nur, direkt oder über die Kapverdischen Inseln. Das hängt in erster Linie von der Frage ab, ob es etwas zu reparieren geben wird oder wir noch Proviant vermissen werden. Der direkte Weg in die Karibik wäre am kürzesten. Die Passatwinde zwingen uns jedoch ohnehin, zumindest die ersten Tage in die Richtung der Kap Verden zu segeln. Also gibt es zunächst keine Eile bei der Entscheidung.
Ankunft der Crew
Sebastian und Michael hatten zunächst einmal ein Problem: Die Aurelia liegt in Lanzarote, sie aber flogen nach Grand Canaria. Nicht, dass das so geplant wäre, aber manchmal kommt es halt anders als man denkt. Also ging es für die beiden erst einmal zur Übernachtung auf eine Finka irgendwo im “Outer Rim”. Am Morgen des 21.11. flogen sie mit dem Inselhopper nach Lanzarote, wo ich sie dann mit dem Mietwagen abholte und mit meinen letzten Vorräten an richtigem Bier auf der Aurelia begrüßte.
Bunkern für 4 Wochen
Keiner von uns hat vor, 4 Wochen auf dem Atlantik zu verbringen. Wir gehen eher von knapp 3 Wochen aus. Eine Woche Sicherheit muss aber sein. Also galt es, genügend Wasser, Bier und frische Vorräte zu bunkern. Einen Großteil der langlebigen Lebensmittel hatte ich ja bereits vorab mit dem Auto in Locmiquelic an Bord gebracht. Dennoch waren wir etwas besorgt, was die Lagerkapazitäten der Aurelia angeht, nachdem wir die hier gekaufte Menge in das Cockpit geschafft hatten. Auf der zweiten Tour organisierten wir uns noch etwas Diesel und Campinggas, um im Notfall auch ohne Strom Nudeln und Reis kochen zu können. Damit war es dann aber auch gut für den Tag, den wir in einem Marina-Restaurant ausklingen ließen.
Am nächsten Morgen machten sich Sebastian und Michael gleich dran, den Proviant zu verstauen. Dazu musste erst einmal die in den letzten Wochen etwas durcheinander geratene Bunkerung optimiert werden. Gefühlte 10 Stunden später war es dann soweit. Alles war verstaut. Wir konnten es selber kaum glauben. Den Rest des Tages nutzten wir für Schiffs- und Sicherheitseinweisung sowie die Planung unserer Strecke.
Letzte Vorbereitungen & Los
Am 23. 11. sollte es nun losgehen. Sebastian besorgte noch ein paar Dinge im Decathlon – passenderweise mit dem Fahrrad. Michael spülte Rigg und Deck mit Süßwasser. Das Auffüllen des Wassertanks brachen wir mit dem Hinweis unserer Nachbarn ab, dass das Leitungswasser auf Lanzarote kein Trinkwasser sei. Gegen Mittag wollten wir nun ablegen, doch das Wetter war zu böig. Erst in den Nachmittagsstunden wurde es besser. Also füllten wir die Zeit mit einigen Knotenübungen, gingen die Segelmanöver durch und ließen uns noch einmal von der reizenden Zula-Crew fotografieren.
16:30 Uhr war es dann soweit. Der Wind ließ nach und ich entschied mich für’s Ablegen. Wenige Minuten später passierten wir das im Außenhafen liegende Kreuzfahrtschiff, setzten die Segel und genossen den ersten Sonnenuntergang auf See.
Letzter Stopp Fuerteventura
Nach 87 Seemeilen und 18 Stunden erreichten wir am 24.11. die Bucht von Morro Jable, in der wir – ich glaube zum ersten Mal überhaupt – den neuen Anker warfen. Noch einmal baden, Unterwasserschiff kontrollieren und ohne Schaukeln mittagessen, dann ging es endgültig los und wir verabschiedeten uns vom Land, ohne genau zu wissen, ob wir nun in den Kap Verden oder auf Barbados landen würden. Der Wetterbericht versprach für die nächsten Tage wenig Wind und Welle. Vielleicht zu wenig Wind?
Punkt 14:00 Uhr lichteten wir den Anker, setzten die Segel und fuhren unter Nutzung der Windfahnensteuerung in die Nacht. Überraschende 21 Knoten NNO-Wind schieben uns nun gen Süden. Ich verteilte noch ein paar wichtige Infos zu den Segeln der Aurelia. War wohl nicht so interessant – die halbe Crew schlief dabei ein. Das fängt ja gut an :-).
25.11.2019 – Unbekannte Geräusche
Wenn man das erste Mal den Atlantik überquert, dazu noch mit dem eigenen Schiff, das man erst vor wenigen Monaten gekauft und wenig genutzt hat, hört man auf jedes Geräusch. Nachdem der Wind nun nachgelassen hat, kommen sie aus allen Ecken. Welche sind OK? Welchen sollte man nachgehen? Eine Routine, die mir noch fehlt.
Auf alle Fälle quietscht die Spifall-Rolle am Mast-Top viel zu stark. Aber unterwegs klettert mir da keiner rauf. Ohnehin mussten wir das Code 0 nach kurzer Zeit wieder einholen, da der Wind zu schwach für den Seegang war. Also fuhren wir erst einmal nur mit der ausgebaumten Genua. Später holten wir das Groß heraus und luvten etwas Richtung Osten an. Nicht, dass es uns nach Afrika zieht, aber wir erhofften uns vom neuen Kurs etwas mehr Geschwindigkeit. Schließlich wollen wir noch in diesem Jahr ankommen. Genauer gesagt wollen wir vor dem 19.12. in Martinique sein, um Nicole vom Flughafen abzuholen und vor dem 20.12., damit Sebastian seinen Heimflug bekommt.
Insgeheim hoffe ich eine Ankunft am 15. oder 16.12. So hätten wir noch etwas Zeit, gemeinsam die Karibik zu genießen. Unser erstes Etmal von 115sm (= Strecke in Seemeilen von 12:00 Uhr UTC bis 12:00 UTC des Folgetages) reicht dafür bei weitem nicht aus.
Die Solaranlage generiert bei der tiefen Sonne, dem Mastschatten und den vielen Wolken zu wenig Strom. Außerdem musste ich sie heut mehrmals zurücksetzen. Irgendetwas bringt sie zum Absturz. Hoffentlich hält sie durch. Weiter im Süden fahren wir einen Westkurs. Dort sollte es wieder wesentlich mehr Strom geben. Gut, dass wir durch die Windsteuerung mehr als eine Kilowattstunde pro Tag sparen können.
26.11.2019 – obV
Der Tag heut verlief ohne besondere Vorkommnisse, wenn man von dem mit 108sm viel zu geringen Etmal absieht. Die Wacheinteilung schwingt sich so langsam ein. Wir wechseln nachts aller vier Stunden und rotieren von Nacht zu Nacht die Reihenfolge. Für die nächsten Tage habe ich mir vorgenommen, die Crew zu befragen, ob sie eher zu einem Zwischenstopp in Mindelo oder zum Durchfahren nach Barbados tendiert. Bisher schlägt das Pendel in keine Richtung aus.
27.11.2019 – Kollisionskurs und ein Knall
Kurz bevor ich gegen 3:00 Uhr meine Wache an Sebastian übergeben wollte, zeigte sich ein Kreuzfahrtschiff am Horizont. Es war zwar noch etliche Meilen entfernt, doch mit seinen weit über 20 Knoten wird sich das schnell ändern. Kurz nach der Übergabe war es bereits auf weniger als 5 sm herangekommen. Ich nahm das Fernglas und blickte in zwei klar leuchtende Positionslampen. Ja zwei! Steuerbord und Backbord. Das änderte sich auch in der nächsten Minute nicht. Also griff ich zum Funkgerät und erkundigte mich nach den Absichten des 323 Meter langen Kreuzfahrtschiffs “MSC Seaview“.
Die Antwort kam prompt, souverän und in einem professionell-ruhigen Singsang: “Aurelia, this is MSC Seaview. We will pass you on your portside.” Kurz darauf verschwand die Backbordleuchte der MSC Seaview. Weitere wenige Minuten später fuhr sie mit einem knappen Kilometer Abstand an uns vorbei. Dabei fühlte es sich an, als müssten wir jeden Augenblick die Bugwelle zu spüren bekommen, so nah wirkte sie in der Dunkelheit. Kurze Zeit später roch man dann allerdings auch ihre Abgase. Mein Gott, was ist das nur für Zeug, das sie da verbrennen?
Weitere Schiffe waren nun nicht mehr in Sicht. Also übergab ich die Wache endgültig an Sebastian und verschwand im Bett.
Kurz vor 8:00 Uhr – ich saß schon wieder hinter dem Steuer – verabschiedete sich das Code 0 mit einem mehr oder weniger lauten Knall, verschwand backbord-seitig hinter der Reeling und drohte, in den Wellen zu versinken. “Alle Mann an Deck!” – Sebastian war zuerst draußen und bekam das Segel zu greifen. Wenige Minuten später war es wieder an Bord. Die Reste der Spiefall hingen müde aus dem Mast. Das obere Ende war hineingefallen. Auf See ist das nicht zu reparieren. Die Frage nach unserem Ziel war damit beantwortet. Es geht auf die Kapverdischen Inseln. Der Wind ließ weiter nach, also muss heut der Motor ran. Mit einem Etmal von 109 sm sieht es momentan so aus, als würden wir 30 Tage bis Martinique benötigen. Ich bin mir aber sicher, der Wind wird in Höhe der Kap Verden zunehmen. Die Crew ist da noch etwas skeptischer.
28.11.2019 – Über-Bord-Manöver
Dank Sebastians heutigem Waschtag ging endlich das zum Trinken ungeeignete Wasser aus Lanzarote zur Neige. So konnten wir den Watermaker in Betrieb nehmen. Ein Komfort, den ich auf dem Ozean nicht mehr missen möchte. Das mittels Umkehrosmose aus dem Ozean gewonnene Trinkwasser generieren wir mit einer Pumpe, die neben vielen anderen Verbrauchern mit Solarstrom betrieben wird.
Zweiter Vorteil des Waschtags: Wir nutzten eine über Bord gefallene Socke für eine Mann-Über-Bord-Übung. Schnell war sie wieder eingesammelt. Mit dem heutigen Etmal von 123 sm ist etwa die Hälfte der Strecke zu den Kap Verden geschafft. Zeit für ein Bad im etwa 4.000 Meter tiefen Atlantik.
Die Kehrseite des schönen Wetters: Ohne Wind müssen wir uns mit der eisernen Fock – also dem Dieselmotor – fortbewegen.
29.11.2019 – Fällt die Maschine aus?
Bis 03:00 Uhr konnten wir nur motoren. Dann kam endlich wieder etwas Wind auf. Also hieß es: “Segel setzen”. Leider nur für weinige Stunden. Dann ging es wieder mit Motorunterstützung voran.
Bereits bei der Entscheidung, den Dieselmotor an Bord zu lassen, hatte ich mir überlegt, für einige Einsatzzwecke den Elektromotor an der Badeplattform anzubringen. Das heutige Wetter war ideal, es auszuprobieren. Wir montierten den Antrieb an die Heckleiter und schlossen den Ferngashebel an, den ich kurz vor der Abreise noch besorgt hatte. Fazit: Ja man kann ihn nutzen, aber nur bei wenig Seegang und möglichst tiefer Montage. Berücksichtigt man die Zeit für Montage und Demontage, ist es wohl zu kompliziert für den regulären Einsatz. So einen Antrieb wird man nur im Notfall nutzen.
Kurz nach 12 Uhr – ich hatte gerade erst wieder das zu geringe Etmal von 105 sm notiert – veränderte sich plötzlich das Motorgeräusch zu einem tiefen, kräftigen Dröhnen. Ist das schon der Notfall, für den wir erst vor wenigen Minuten geprobt hatten? Ich steckte sofort meinen Kopf unter den Niedergang und begab mich auf die Fehlersuche. Glücklicherweise war es nicht der Motor sondern nur der Lüfter, der den Motorraum mit Außenluft versorgt und die Abwärme des Motorraums nach außen ableitet. Die Lager des “hochwertigen” China-Lüfters gaben so langsam den Geist auf. Er musste abgeschaltet werden. Ab jetzt heißt es also: Treppe auf, wenn der Motor läuft. Von Schallisolierung kann so aber keine Rede sein. Die verbleibenden 250 Seemeilen wir werden wohl nur schwer in den Schlaf finden, wenn der Wind nicht auffrischt.
30.11.2019 – Ein schöner Tag auf See
Der heutige Tag begann und endete mit einer goldenen Sonne am Horizont. Zwar fehlte wieder der Wind und wir mussten viel zu lange den Motor nutzen, aber wir konnten baden, Brot backen und uns mit dem AIS beschäftigen. Für mich ist das AIS die großartigste Erfindung der Seeschifffahrt seit Samuel Morse. Bis zu 1.000 Schiffe in Funkreichweite können sich gegenseitig auf dem Plotter (so nennt man das Navi für Schiffe) sehen, Informationen abrufen und entsprechend reagieren. Das System funktioniert vollkommen dezentral. Keine Institution und kein zentraler Server kontrollieren/beeinflussen das System und trotzdem oder gerade deshalb funktioniert es. Dieses Prinzip von frei zugänglichen Informationen und eigenverantwortlichem Handeln sollte in meinen Augen in vielen anderen Bereichen unseres Lebens – sowohl sozial als auch technologisch – Einzug halten!
01.12.2019 – Optimierung des Autopiloten
Nur noch etwas mehr als 100sm, dann haben wir es geschafft. Dank 14 Stunden Motoreinsatz liegt das Etmal bei 118 sm. Wir haben heut diverse Einstellungen am Autopiloten ausprobiert, um ihm zu starke Ruderbewegungen abzugewöhnen. Fürs Erste funktioniert es ganz gut. Mal schauen, wie es sich bei anderen Wetterbedingungen bewährt. Die Stimmung an Bord ist geprägt von der Vorfreude auf das Erreichen der Kap Verden. Morgen sollte es soweit sein. Höchste Zeit, schließlich sind wir bereits eine Woche auf See. Da mir die Flagge der Kap Verden fehlt, hat uns Sebastian schon mal eine gemalt. Ich freue mich auf morgen!
02.12.2019 – Wo bleibt das Land?
Gegen 11:00 Uhr Ortszeit waren es nur noch 25sm bis zur Küste und weitere 15 bis zur Marina. So langsam sollte das Land in Sicht kommen. Tat es aber nicht. Nur wenn man die Augen seitlich an der vermuteten Küste entlang schweifen ließ, hatte man das Gefühl, man könne eine Küstenlinie ausmachen.
Es dauerte noch eine geschlagene Stunde, bis man tatsächlich die Küste erkennen konnte. Die geschätzte Ankunftszeit lag bei 17:00 Uhr. Genügend Zeit, die Fahne zu hissen und sich der Vorfreude auf ein abendliches Steak hinzugeben. Gegen 17:30 Uhr hatten wir in 195 Stunden 950 Seemeilen zurückgelegt und ohne Probleme rückwärts in die Marina eingeparkt.
Viel Zeit werden wir uns für die Kapverdischen Inseln nicht nehmen können. Für einen kurzen Abstecher in die Stadt Mindelo wird es hoffentlich reichen. Mehr dazu im nächsten Logbucheintrag.
Ich freue mich auf Eure Kommentare und Fragen, auf die ich hier und in den nächsten Logbucheinträgen gerne näher eingehe.