Wir segeln ins Rote Meer
Am 19. Februar 2022 machten wir uns von Dschibuti aus auf den Weg nach Port Ghalib in Ägypten. Die ca. 1000 Seemeilen sollten sich schrittweise zu den vielleicht anspruchsvollsten der Weltumsegelung entwickeln.
Wetterplanung
Um die Komplexität der Wetterplanung in den Griff zu bekommen, habe ich den Weg von Dschibuti nach Port Ghalib in 4 Abschnitte untergliedert. Im ersten gilt es, den Weg zurück in das Verkehrstrennungsgebiet zu finden. Bis dahin wird man überwiegend Wind aus Osten vorfinden. Gegen ihn muss man kreuzen. Zwar finden sich immer wieder Fenster mit günstigeren Winden, doch sie zu nutzen hieße, im zweiten, wesentlich längeren Abschnitt Probleme zu bekommen. Dieser führt durch die Meerenge von Bab El Mandab in das Rote Meer. Hier dreht der Wind oft mit über 30 Knoten aus östlicher Richtung auf Südsüdost in das Rote Meer hinein. Erwischt man einen guten Moment, trägt er einen bis weit in das Rote Meer hinein. So gelangt man schnell durch die verbleibende, gefährlichste Strecke des Hochrisikogebietes. Rund um die dortigen Inseln gibt es immer wieder kritische Annäherungsversuche von vermeintlichen Piraten.
Der dritte Abschnitt ist geprägt von schwachem Wind aus unterschiedlichen Richtungen. Seine Ausdehnung und Position können stark schwanken. In unserem Fall hätte ich ihn gern sehr weit nördlich, um das Kreuzen im 4. Abschnitt zu minimieren. Spätestens mit dem Erreichen der ägyptischen Südgrenze muss man mit ihm rechnen. Dort weht einem ein teils recht kräftiger Nordwestwind entgegen, der durch das Kreuzen gegenan noch verstärkt wird.
Der Seegang ist wesentlich ungemütlicher. Während man vor dem Wind von der weichen Seite der Welle langsam überholt wird, fährt man hoch am Wind gegen die steilere Wellenfront. Daher kommt wohl das Adverb “gegenan”. Ab einer bestimmten Höhe springt die Aurelia mehr über die Wellen als sie fährt. Das macht zwar für einen kurzen Törn viel Spaß, auf langen Strecken strapaziert es jedoch Schiff und Crew sehr stark. Man ist also froh, wenn dieser vierte Abschnitt möglichst weit im Norden liegt und schwach ausgeprägt ist.
Um die vier Abschnitte zum jeweils günstigsten Zeitpunkt zu durchqueren, musste ich viel rechnen, probieren und schätzen. Die beiden Skipper der befreundeten Segelyachten betrieben nicht ganz so viel Aufwand. Das wiederum spornte mich an, noch besser zu kalkulieren, denn wir wollen gemeinsam aufbrechen. Fehler wirken sich also gleich dreifach aus.
Die Schwierigkeiten bei der Planung sind vielfältig. Verrechnet man sich bei einem Abschnitt, erreicht man den folgenden zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser befindet sich dann wahrscheinlich nicht mehr auf der gleichen Position. Auch die Windgeschwindigkeiten sind anders.
Last but not least verändert sich auch die Wetterprognose. Selbst, wenn man alles richtig kalkuliert, werden sich die Basisdaten im Verlauf der Reise ändern. Das heißt, die Kalkulation muss regelmäßig aktualisiert werden.
Warum ist die ganze Kalkulation so wichtig? Kann man das Wetter nicht nehmen, wie es kommt? Natürlich könnte man. Mir macht es aber Spaß, durch Rechnen die Reisezeit zu minimieren. Ohne den Aufwand wäre man unter Umständen doppelt so lange und bei wesentlich ungemütlicheren Bedingungen unterwegs, was wiederum viel Raum für unvorhergesehene Ereignisse und Reparaturen vergrößert.
Wie groß der Unterschied ist, wurde mir erst Tage nach der Ankunft in Port Ghalib klar. Doch der Reihe nach.
Nach meiner Kalkulation war die günstigste Startzeit der 7. Februar 3:00 Uhr. Allerdings würde uns dann in den ersten Stunden ein starker Wind entgegenwehen und ich fürchtete, das wird keiner verstehen. Ein Start um 7:00 Uhr würde wesentlich entspannter sein und den Gegenwind bis zum 2. Abschnitt auf wenige Stunden reduzieren. Die fehlenden 4 Stunden können wir mit etwas Glück, mehr Segelfläche und/oder Motorunterstützung aufholen. So machen wir’s!
Abschnitt 1
Wir brachen am 7. Februar um 7:00 Uhr auf. Wie erwartet konnten nach dem Verlassen der Land-Abdeckung den Ostwind nutzen, um nach Norden zu gelangen. Später kreuzten wir gen Osten. Prompt kam die befürchtete, aber freundliche Beschwerde der 2. Segelyacht: “Warum segeln wir so früh los, wenn wir jetzt kreuzen müssen und der Wind später dreht?” Ich vertröstete die andere Crew auf eine spätere Antwort und hoffte inständig, dass meine Kalkulation stimmt.
Kurz nach Sonnenuntergang hatten wir den ersten Abschnitt hinter uns gebracht. Prima, so hatte ich mir das gewünscht. Bisher lief alles nach Plan.
Abschnitt 2
Während Jakubs Nachtwache schwenkten wir in die Bab El Mandab Meerenge ein, die auch “Tor der Tränen” genannt wird. Der Wind nahm stetig zu und wehte immer achterlicher. Der Seegang drückte das Heck hin und wieder zur Seite, so dass es bald zu unserer ersten Patenthalse seit den Fidschi-Inseln kam. Der Bullenstander verhinderte Schlimmeres. Lediglich das Lazy-Jack riss erneut. Wir banden das mittlerweile im 2. Reff befindliche und damit sehr weit herunterhängende Großsegel am Baum fest. Die Wellen puschten die ohnehin hohe Durchschnittsgeschwindigkeit von 7 kn auf gelegentliche 13 kn Fahrt über Grund. Mir sollte es recht sein. Ich wollte so schnell wie möglich durch dieses Gebiet.
Nördlich der Meerenge ließ der Wind etwas nach, die Wellen wurden länger und angenehmer. Wir erreichten das Gebiet genau in dem Zeitraum, in dem der Südwind weit nach Norden reichte. So konnten wir auch den 2. Abschnitt wie geplant absolvieren. Wir verfehlten das Maximum nur um wenige Seemeilen. Das Hochrisikogebiet lag bereits weit hinter uns. Besser geht’s nicht!
Die Rechnung ist aufgegangen. Jetzt war der richtige Zeitpunkt unseren Begleitern zu erklären, warum wir so früh gestartet waren.
Abschnitt 3
Der Abschnitt mit schwachem Wind war nun recht kurz. Wir befanden uns bereits so weit nördlich, dass der Nordwind nach nur einem Tag Motorunterstützung einsetzte. Er brachte eine deutliche Abkühlung.
Es war höchste Zeit, einen neuen Wetterbericht abzuholen und einen detaillierten Plan zum Kreuzen aufzustellen. Meine Freude über die neue Prognose lässt sich leicht aus den beiden Selfies vor und nach dem Wetterstudium ablesen:
Uns erwartete in den nächsten Tagen starker Wind aus Nord, stärker als bisher angenommen. Das bedeutet, wir müssen mehr reffen. Dadurch verschlechtert sich das Segelprofil und damit auch unser Wendewinkel. Wir werden also eine längere Strecke segeln als bisher angenommen.
Außerdem wurde es kalt, sehr kalt. Spray und Wind ließen das Salz auf der Kleidung kristallisieren. Dadurch versagte die Imprägnierung. Spray und Morgentau durchnässten sie. Der Wind ließ die Feuchtigkeit wieder verdunsten und kühlte dabei den Körper herunter. Die ohnehin ungewohnten 15° C fühlen sich an wie Temperaturen knapp über der Frostgrenze.
Abschnitt 4
Der 4. Abschnitt unserer Reise hatte es in sich. Bei bis zu 30 Knoten kaltem Wind aus Norden wehte uns eine eisige Spray ins Gesicht. Das gesamte Schiff bekam durch die von den Wellen abgewehte See eine Salzkruste verpasst. Aurelia sprang förmlich über die steilen Wellenberge. Mehrere Tage lang krachte die Aurelia aller 6 Sekunden mit dem Bug auf das Wasser.
Mit zahlreichen Kalkulationen und Berücksichtigungen kleinster Windrichtungsänderungen versuchte ich, einen möglichst guten Wendewinkel zu erreichen. Je besser, desto schneller kommen wir durch das Wetter. Der Faktor ist enorm. Wenn wir es schaffen, mit 40° zum wahren Wind zu segeln (was einem Wendewinkel von 80° entspricht), benötigen wir lediglich die 31% mehr Strecke. Bei 60° müssen wir bereits den doppelten Weg zurücklegen.
Allerdings segelt man bei 60° zum Wind in der Regel schneller als bei 40°. Wo ist also das Optimum? Als wäre das nicht schon kompliziert genug, kommt hinzu, dass der Wind im Verlauf des Tages ein wenig dreht. Wenn wir den richtigen Zeitpunkt erwischen, können wir unseren Wendewinkel um einige Grad verbessern. Das gleiche gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Kümmern wir uns nicht um diese Änderung, verlängert sich die Reise vielleicht um mehrere Tage.
Mehr als einmal qualmte mir der Kopf bei meinen Bestrebungen, den optimalen Winkel und den optimalen Zeitpunkt zum Wenden zu berechnen. Zweimal nahm absichtlich einen schlechten Winkel in Kauf, um einem Böenfeld mit noch stärkerem Wind auszuweichen.
Verkehr
Der Verkehr ist eine weitere Herausforderung im Roten Meer. Wir sind alles andere als allein. Beim Kreuzen durchquerten wir regelmäßig die Schiffsroute der großen Frachter und Tanker. Die meisten passierten wir in sicherem Abstand, aber nicht alle. Hin und wieder war ein Funkkontakt nötig, um die richtige Seite zum Ausweichen abzustimmen. Einmal mussten wir unserem optimalen Kurs aufgeben, da ein Frachter partout nicht mit uns kommunizieren oder seinen Kurs anpassen wollte.
Interessant war das Treffen mit der Berlin Express. Eine der seltenen Begegnungen mit einem Deutschen Frachter. Natürlich musste ich da zum Funkgerät greifen. Es meldete sich eine freundliche Frauenstimme mit norddeutschem Dialekt. Als wäre so ein Treffen nicht selten genug, geschah der Wind Hog etwas ähnliches am gleichen Morgen, nur etwa 150 NM südlicher. Sie trafen auf ein Schiff, das den Namen ihrer Heimatstadt aus Kanada trug.
Ein Riss im Segel und weitere Problemchen
Am Abend des 17. Februar war der Nordwind vorbei. Er drehte nach Ost und wurde schwächer. Wir refften aus, setzten Groß und Genua auf Backbord und gönnten uns gerade ein entspanntes Abendessen, bis Jakub mit offenem Mund an mir vorbeischaute. Will er mich veralbern? Das wäre untypisch! Ich drehte mich um und wir blickten beide durch ein knapp zwei Meter langen Riss im oberen Drittel der Genua. Die letzten Tage waren zu viel für sie. Glücklicherweise war es wieder nur eine gerissene Naht. Mit einem Mix von Frust und Erleichterung barg ich das Vorsegel und warf den Motor an. Die letzten 130 Seemeilen bis Port Ghalib legten wir so zurück. Jakub saß den gesamten Folgetag mit Nadel und Faden an Deck.
Für mich eine gute Gelegenheit, meine Koch- und Backkünste wieder etwas aufzufrischen. Meist ist Jakub derjenige, der uns das Essen zubereitet.
Die gerissene Genua war nicht das einzige Problem. Die harten Bedingungen hatten einen Führungsring ihrer Rückholleine brechen lassen. Dadurch war sie an einer Stelle bereits sehr stark aufgescheuert. Gerade noch rechtzeitig konnten wir sie durch eine der mitgeführten Ersatzleinen tauschen. Durch den fehlenden Ring war auch sie binnen weniger Stunden beschädigt. Mittels eines Schäkels und einer kurzen Leine bastelten wir uns eine Ersatzführung, die wir an den vorderen Klampen befestigten. Das funktionierte.
Die bereits in Indonesien reparierte Backbord-Positionsleuchte fiel ein zweites Mal aus. Wieder lag es an dem für die offene See ungeeigneten Kabelschuh aus Kupfer. Er war völlig korrodiert und abgebrochen.
Abgesehen davon kamen wir jedoch gut voran und konnten hin und wieder auch noch die Sonnenauf- und -untergänge genießen, die dem Meer wohl seinen Namen gegeben haben. Wobei es dann eigentlich eher Orange Sea heißen müsste.
Ankunft
Am Morgen des 19. Februar erreichten wir nach 12 Tagen und 1294 sm Port Ghalib. Mehrere Tage vor dem Eintreffen der mit uns gestarteten Yachten legten wir längsseits am Einklarierungssteg an. Die viele Rechnerei hatte sich gelohnt. Wir sind in Ägypten!
Das Einklarieren dauerte den ganzen Tag. Erst mit der Abenddämmerung erreichten wir wir völlig erschöpft unseren finalen Liegeplatz. Mehr darüber erfahrt Ihr im nächsten Blog-Beitrag.
2 KOMMENTARE
Braucht man für die Durchquerung der Bab-el-Mandeb eine Erlaubnis? Die Strasse ist ja zu eng, um nicht in nationales Gewässer zu gelangen.
Hallo Fabian, wir brauchten keine. Meines Wissens ist das schon allein durch das “Recht der friedlichen Durchfahrt” möglich. Allerdings würde ich mich derzeit nicht auf diesen Weg begeben. Die Sicherheitslage Lage wäre mir zu instabil.
Viele Grüße
Jörg