Finale
Am 22. Juli 2022 begann die letzte Etappe meiner Weltumsegelung. Nach den Spanischen Wochen segelte ich von Marbella durch die Meerenge von Gibraltar. Dahinter kreuzte ich meine Kiellinie vom 16. November 2019 und schloss damit den Kreis meines Segelabenteuers. Schließlich ging es schnurstracks nach Portimao, wo bereits Freunde aus der Lockdown-Zeit in Curacao auf mich warteten.
Die Meerenge von Gibraltar
Planung
Da meine Segelzeiten durch mein neues Projekt auf die Zeit von Freitagabend bis Montag früh begrenzt sind, bleibt mir nicht viel Spielraum für die Planung der Fahrt durch die Meerenge von Gibraltar. Sie ist weniger als 10 Meilen breit und erst ca. 5,3 Millionen Jahre alt. Zuvor gab es für einige hunderttausend Jahre eine Landbrücke zwischen Europa und Afrika, die das Mittelmeer teilweise trocken legte. Auch heute noch gibt es an der Meeresoberfläche eine permanente Strömung aus dem Atlantik in das Mittelmeer. In größerer Tiefe fließt das Wasser in die andere Richtung. Vor unserer Zeitrechnung war man noch so schlau, dies mit Unterwassersegeln auszunutzen. Heute verwendet man lieber Schweröl. Doch zurück zur Oberfläche.
Die nach Osten setzende Basisströmung von ca. 1 Knoten wird durch weitere Faktoren beeinflusst. Die drei wesentlichen sind die Gezeiten, der Wind und die geographischen Gegebenheiten. Es kommt also auf die Zeit, das Wetter und die Position an, um die Strömung näherungsweise vorherzusagen. Weitere Schwierigkeiten kommen hinzu, wenn man hindurchsegeln möchte. Die Berechnung gilt ja immer nur für einen Zeitpunkt. Mit dem Segelboot ist man aber auf den 20 entscheidenden Seemeilen mehrere Stunden unterwegs. Verschätzt man sich bei der angenommenen Geschwindigkeit, passt die kalkulierte Strömung nicht mehr zur tatsächlichen Position des Schiffes. Der Unterschied kann so groß sein, dass man sich am Ende des Versuchs im Mittelmeer wiederfindet. Dies ist schon einigen Seglern passiert.
Kurzum, es ist kompliziert. Ich suchte mir zwei vertrauenerweckende Modelle heraus, nahm die Wetter- und Strömungsdaten aus Windy hinzu und wendete sie auf meine Situation an. Das Ergebnis glich einem Lottogewinn: Wenn ich am Freitag spätestens um 12:00 Uhr aufbreche, erreiche ich den kritischen Punkt, an dem die Strömung spürbar wird genau dann, wenn der Gezeitenstrom nach Westen einsetzt und der Wind aus Osten zunimmt.
Durchfahrt
So soll es sein! Ich verlegte alle Termine vom Freitag so, dass ich um 12:00 Uhr ablegen konnte. Tatsächlich war ich erst 12:20 Uhr aus der Marina raus. Es galt also, erst einmal 20 Minuten aufzuholen. Dazu gibt es keine Alternative. Schaffe ich es nicht in diesem Fenster, bleibe ich für mindestens zwei weitere Wochen im Mittelmeer, da anschließend der Wind nach West dreht.
Ich segelte also mit Motorunterstützung vorbei an ankernden Frachtern und nährte mich dem ersten kritischen Punkt.
Als ich gegen 18:30 Uhr dort eintraf, spürte ich den Rest der Gegenströmung. Die Geschwindigkeit der Aurelia sank um fast 2 Knoten. Vom Ostwind keine Spur. Für die nächsten 30 Minuten zweifelte ich an meiner Kalkulation, rechnete noch einmal nach und übersah dabei fast einen weiteren Segler, der mir ziemlich nahe kam.
Dann setzte der Ostwind ein und half mir, gegen den Rest des nach Osten setzenden Gezeitenstroms zu kompensieren. Nun ging es vorbei an dem berühmten Felsen, dem Leuchtturm und zahlreichen Fähren.
Genau in der Mitte der Meerenge wechselte die Strömung wie geplant und setzte nach Westen. Die Aurelia nahm immer mehr Fahrt auf. Noch vor Mitternacht verließ ich die Meerenge. Alles hatte wie geplant funktioniert. Erschöpft und erleichtert gönnte ich mir ein Mitternachtsbier.
Ein letztes Mal …
Mit der ersten Dämmerung ließ der Ostwind, der durch die Meerenge so gut verstärkt wurde, spürbar nach. Ich ging auf Kurs nach Portimao. So konnte ich ihn ein paar Meilen länger nutzen. Als auch das nicht mehr half und die Segel einfielen, musste ich sie bergen. Vielleicht zum letzten Mal auf dieser Reise.
Überhaupt gibt es viele Dinge, die ich nun zum letzten Mal auf dieser Reise mache. Den letzten Joghurt ansetzen, das letzte Brot backen, die letzte Motorkontrolle, der letzte Rundgang, die letzte Nacht auf See, der letzte Sonnenaufgang, der letzte Sonnenuntergang und vieles mehr. Hinzu kommen die Gedanken an die vielen Ergebnisse und Herausforderungen der letzten 3 Jahre. Wenn da keine Wehmut aufkommt, wann dann?
Bitte keine Orcas
Doch noch bin ich nicht am Ziel. Am letzten Tag gab es noch ein paar Begegnungen. Als erstes traf ich einen Katamaran, der sich auf dem Weg ins Mittelmeer befand. Wir tauschten uns über Funk über die Wetterlage aus. Ich gab ihm auch noch ein paar Tipps auf Basis meiner Strömungskalkulation.
Orcas hatte der Katamaran nicht gesichtet. Auch nach meiner Recherche befinden sich die aggressiven Gruppen, die in den letzten drei Jahren über hundert (!) Seegelboote angriffen und deren Ruder zerstört hatten, derzeit nicht in dieser Region.
Diese Infos stammen aus einer Facebook-Gruppe , in der Segler regelmäßig über Sichtungen und Zusammenstöße berichtet wird. Für mich unverständlich, warum diese schützenswerten Orca-Familien nicht mit GPS-Sendern markiert werden, damit man eine Chance hat, sie großräumig zu umfahren.
Die Kiellinie
Um 18:28 Uhr des 27. Juli 2022 war es dann soweit. Ich kreuzte meine eigene Kiellinie, die ich am 5. November 2019 um 2:18 Uhr nachts durch den Golf von Cadiz gezogen hatte. Damals war das Wetter deutlich schlechter. Bei 30 Knoten Wind hatte ich mit deutlich weniger Erfahrung als heute ganz schön zu kämpfen. Jetzt war kaum ein Lüftchen zu spüren. Lediglich ein Frachter drohte mich vom optimalen Kurs abzudrängen.
Die letzten Meilen
Auf den letzten 70 Seemeilen bis Portimao gaben sich die unterschiedlichsten Gefühle die Klinke in die Hand.
Erleichterung
Auf der einen Seite war ich unheimlich erleichtert, dass insgesamt doch alles sehr gut funktioniert hat. Die Aurelia hat mich letztendlich nicht im Stich gelassen. Trotz aller Wehwehchen – der Motor läuft, das Rigg steht und das Ruder hält uns auf Kurs.
Bangen
Doch schon oft habe ich mich zu früh gefreut. Noch waren es 70 Meilen. Orcas könnten mein Ruder zerstören, der Motor könnte aufgeben, ein Container könnte im Weg liegen und ich kann immer noch das letzte Anlegemanöver versemmeln. Also galt es, nicht vorzeitig die Konzentration zu verlieren.
Vorfreude
Ich freue mich auf die Ankunft, auf die Heimkehr, das Wiedersehen mit Freunden, Verwandten und Bekannten. Ihre Sorgen, dass ich mich erst wieder zurechtfinden muss, habe ich gar nicht. Aus meiner Perspektive war ich ja nicht weg, sondern immer bei mir und aktiv. Außerdem bin ich bereits seit Wochen wieder in einem Projekt. Ich habe gar keine Zeit dafür, mich nicht zurechtzufinden. Da mache ich mir schon eher Sorgen, dass ich gar nicht genug Zeit finde, all das zu tun, worauf ich mich freue.
Wehmut
Allerdings fehlen mir schon jetzt einige Dinge. Mit Sicherheit zählen dazu die Sonnenauf- und -untergänge auf hoher See, der Sternenhimmel, die friedliche Ruhe, wenn man nachts allein auf dem Ozean durchs Wasser gleitet, dieses Hochgefühl, wenn man nach Wochen auf See wieder Land betritt, dabei überwältigend viele nette, weltoffene Leute kennenlernt und vieles mehr.
Stolz
Nun ja, ein wenig Stolz ist auch dabei. Stolz auf den festen Entschluss, die Weltumsegelung anzugehen; Stolz auf die Vorbereitungsprojekte, die von der Solaranlage über die Windfahnensteuerung bis zum Wassermacher allesamt Ihren Zweck erfüllten; Stolz auf die Planung, Navigation und Wetterkunde, Stolz darüber, die Nervenstärke immer dann gehabt zu haben, wenn es darauf ankam.
Dankbarkeit
Das alles war überlagert von einem starken Gefühl der Dankbarkeit, dass ich das alles so erleben durfte.
Empfang in Portimao
Gegen 11:00 Uhr passierte ich die Mole von Portimao. Mit dem Fernglas sah ich bereits Milena und Uli auf dem Anmeldesteg der Marina winken. Für Emotionen ist jetzt aber keine Zeit. Ein letztes Mal noch konzentrieren! Genua rein! Fender raus! Möglichst auf der richtigen Seite und in der richtigen Höhe.
11:21 Uhr war die Aurelia am Anmeldesteg vertäut. Noch während ich versuchte, die Fender richtig zu positionieren wurde ich mit der Dusche aus einer Wasserpistole begrüßt.
Nach einer ersten Umarmung ging es zur Anmeldung ins Marina-Office. Dort bekam ich meinen finalen Liegeplatz. Noch einmal musste ich den Motor anwerfen und Aurelia zu dem Platz bringen, an dem sie nun wohl einige Wochen oder gar Monate allein verbringen muss.
Dann endlich war Zeit zum Feiern.
Ich habe unseren blauen Planeten auf dem eigenen Kiel umarmt!
Wahnsinn!
2 KOMMENTARE
Hallo Jörg,
Auch ich möchte Dir ganz herzlich zu deiner Weltumsegelung gratulieren.
Wenn du wieder mal segeln möchtest und jemanden suchst der dich begleitet kannst du mich gern anschreiben.
Lg
Falk
PS. Bin mit Uli die Atlantiküberführung zu den Azoren gesegelt.
Lieber Jörg,
nun habe ich Dich im Blog über die ganze Zeit begleitet…
Ich freu mich , das Du wieder “gelandet” bist.
Herzliche Grüße
RN