Atlantiküberquerung Teil 1
Am 3.12. 17:00 Uhr Ortszeit ging es nun endlich los. Wir überqueren den Atlantik. Der Mix an Emotionen und Gedanken ist dabei schwer zu beschreiben. Für mich als Skipper und Eigner überwiegen dabei die Überlegungen: “Habe ich an alle wichtigen Dinge gedacht? Haben wir für alle kritischen Situationen einen Plan – und einen Plan B?” Mir fiel kein “Nein” ein, alle Zeichen auf “Go”. Also los! Endlich!
03.12.19 – Wellenreiten und Windschatten
Das Wetter und die Düse zwischen beiden Inseln bescherte uns in den ersten Stunden Wind über 20 Knoten. So konnten wir uns mit über acht Knoten sehr zügig von der Inselgruppe absetzen. Michael übernahm das Ruder, Sebastian musste sich noch an die Krängung gewöhnen. Kein Wunder, die letzten 8 Tage wurden wir in diesem Punkt mit kleinen Wellen und Flaute verwöhnt.
Ich machte mir Gedanken, dass wir der Insel Santo Antão zu nahe und damit in die Abdeckung (Windschatten) kommen. Also gab ich Micheal in regelmäßigen Abständen das Kommando “Abfallen”. Er hatte jedoch so viel Spaß am Reiten über die Wellen, dass das Kommando jedesmal irgendwo zwischen Mittelohr und Hörzentrum falsch abbog. Andererseits war Abfallen auch nicht so einfach. Das Hauptsegel nimmt der Genua irgendwann so viel Wind weg, wodurch sie anfängt, zu flattern. Außerdem waren die letzten 24 Stunden für die Crew recht angespannt, so dass etwas Spaß auch keine schlechte Sache ist. Also ließ ich es laufen.
Gegen 21:00 Uhr war es dann soweit. Wir waren so weit in der Abdeckung, dass wir den Kurs immer nördlicher setzen mussten, um noch etwas Wind in den Segeln zu halten. Als wir erkannten, dass es zu lange dauert, den Wind nördlich von Santo Ataao zu nutzen, bargen wir die Segel und motorten wieder zurück auf den südlichen Kurs.
Schließlich nahmen wir die Wachregeln wieder auf, die sich schon auf der ersten Etappe bewährt hatten.
4.12.19 – Es geht gut voran
Gegen 2:00 Uhr frischte der Wind wieder auf, so dass wir die Segel setzen konnten. Der erste fliegende Fisch verirrte sich auf unser Deck. Punkt 12:00 Uhr UTC setzten wir unsere Satellitennachricht ab (Alle Satellitennachrichten findet Ihr unter auf der Facebookseite “Sailingaurelia“). Ein Etmal gab es noch nicht, aber wir konnten in den letzten 18 Stunden 96 Seemeilen zurücklegen. Das ist ein sehr guter Wert, wenn man bedenkt, dass wir 4 Stunden davon in der Abdeckung herumrümpelten. Inzwischen machen wir wieder zwischen 5 und 7 Knoten Fahrt. So kann es weitergehen. Die Crew war im wesentlichen damit beschäftigt, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Noch schlafen wir schlecht und müssen uns an das Rollen und die Krängung des Bootes gewöhnen. Gegen Abend war Zeit für ein erstes Kartenspiel. Bevor die Sonne unterging, gingen wir noch ins erste Reff (verringerten die Segelfläche), um sicher durch die Nacht zu segeln.
5.12.19 – Ein katastrophaler Tag
Der Tag begann noch vergleichsweise harmlos. Nach dem Frühstück wollte ich Sebastian die Frenchpress (unsere Kaffeekanne) abnehmen, verlor durch eine Welle das Gleichweicht und hielt mich mit einer Hand am Handlauf des Niedergangs fest. Zu spät für Sebastian, er ließ die Kanne bereits los. Sie zerschellte in 1000 Stücke. Für die verbleibenden Tage heißt es dann wohl “Türkisch”. Beim anschließenden Abwasch vernahm ich einen üblen Geruch aus dem Spülschrank. Es stellte sich heraus, dass eine schlechte Kartoffel einen Großteil unseres Bestandes ruiniert hatte. Sebastian rettete, was möglich war. Für 2 Mahlzeiten wird es noch reichen. Dann gibt es nur noch Nudeln und Reis.
Gegen 11:00 Uhr gab die Hydraulik des Autopiloten merkwürdige Geräusche von sich ab. Dann fiel sie aus. Alarmstimmung! Michael ging ans Steuer, Sebastian und ich auf Fehlersuche. Ziemlich schnell hatten wir den Fehler lokalisiert. Hinter einer Abdeckung in Michaels Kabine befindet sich der Hydraulikzylinder. Ein Großteil des Öls war ausgelaufen. Glücklicherweise segelten wir den ganzen Tag auf dem Backbordbug, so dass sich das gesamte Öl auf dieser Seite gesammelt hatte und nicht in die Bilge floss. Sebastian bewaffnete sich mit Putzmitteln und begann, dass Öl zu entfernen. Hinter der Matratze, unter der Matratze, in der Matratze, hinter dem Schrank und hinter dem Bad, überall Hydrauliköl. Ich begab mich auf die Suche nach dem Leck. Zuerst sah es so aus, als wäre ein Hydraulikschlauch defekt. Kein Ersatz an Bord. Das wäre das Ende der automatischen Steuerung.
In meinem Kopf liefen die Hochrechnungen heiß, ob es besser wäre, umzukehren. Bei genauerem Hinsehen fand ich dann den wahren Fehler: Der Hydraulikzylinder hatte sich gelockert. Er war überhaupt nicht dagegen gesichert. Was ist denn dass bitte für eine Konstruktion? Ein kräftiger Dreh am Zylinder und alles war wieder dicht. Leider haben wir kein Hydrauliköl an Bord, nur Motoröl. Letzteres ist wesentlich dickflüssiger. Sebastian hatte daher so seine Bedenken, dieses einzusetzen. Ich redete es mir mit dem Argument schön, dass jedes Öl einen Temperatureinsatzbereich hat, wir eher am wärmeren Ende sind und daher auch das Motoröl recht dünnflüssig ist. Außerdem hatten wir keine Alternativen. Also Auffüllen und Probieren!
Warten, Warten, …, LÄUFT!!!
Der Autopilot ist wieder betriebsbereit. Dennoch steckte uns der Schreck in den Gliedern. Inzwischen war es bereits nach Zwölf und wir hatten noch keine Satellitennachricht abgesetzt. Zu Hause macht man sich sicherlich bereits Sorgen. Also sendeten wir schnell eine beruhigende Nachricht und das an sich ganz tolle Etmal von 146 Seemeilen. Dann werteten wir das Ereignis aus. Währenddessen fing es an, in der hinteren backbordseitigen Backskiste zu knacken. Noch beeindruckt vom Ausfall des Autopiloten beugte ich mich in die Kiste und versuchte, das Knacken zu orten. Eigentlich kann es nur von der unteren Konsole der Windsteueranlage kommen. Genug Risiko für heute! Ich entschied mich, das Ruder der Windsteueranlage abzunehmen. So sollte sich die Belastung der Konstruktion deutlich verringern. Michael drehte bei. Bei diesem Manöver wird die Genua back stehen gelassen (der Wind kommt von der falschen Seite), das Groß wird so weit geöffnet, dass kein Wind mehr greift. Das Ruder wird gegen den Wind festgestellt. So treibt das Boot quer zum Wind. Durch die Verwirbelung des Wassers und die gleichbleibende Windrichtung liegt es vergleichsweise stabil im Wasser. Bleibt man länger in dieser Position, spricht man auch vom Beiliegen. So konnten wir gut an das Ruder gelangen und demontierten es. Mein Plan B für einen Ausfall des soeben reparierten Autopiloten oder einer defekten Ruderanlage war damit so gut wie passé.
Schließlich fuhren wir weiter. Um 40 Grad wechselnde Winde und Seegang von mehreren Seiten machten uns das Leben schwer und sorgten neben anspruchsvollerem Navigieren auch für so einige blaue Flecke.
Über die Stimmung an Bord brauche ich nicht viel zu schreiben. Jeder machte sich so seine Gedanken. Ich versuchte, nur das laut auszusprechen, was für Zuversicht sorgte und unser Vertrauen in das Schiff wieder stabilisierte. Um letzteres drehten sich meine Gedanken dann auch für den Rest des Tages und der Nacht.
An diesem Tag machten wir nur drei Fotos: Hydraulikzylinder, Beiliegen und ein Mix aus geschafft sein, fatalistisch-ungläubigem Schmunzeln über das Erlebte und der Frage, ob das jetzt so weitergänge.
Bei Ostwind mit Nordkurs zur Westwind
Heute haben wir den 6.12.19, Nikolaus. Mal sehen, was er uns so in die Schuhe schiebt. Zunächst einmal gab es einen herrlichen Sonnenaufgang und ein leckeres Frühstück mit Joghurt, Früchten, Hafer und Nüssen. Hätte nicht gedacht, dass es mir so gut schmeckt. Das wird auf alle Fälle das Standardfrühstück der Aurelia. Bis zum frühen Abend lief alles prima. In den letzten 24 Stunden schafften wir 139 Seemeilen. Wir bewunderten unseren jüngsten fliegenden Fisch, setzten unsere Sat-Nachricht ab, genossen unser Etmal-Bier und spielten Karten.
Gegen 15:00 Uhr entdeckte Michael die Westwind – eine Segelyacht ähnlicher Größe – etwa 6 Seemeilen nordwestlich von uns. Vorahnend, was nun kommt, machte ich klar, dass zwei Schiffe auf See nicht immer eine Regatta sein müssen. Jedenfalls nicht, wenn eines davon die Aurelia ist. Soweit so gut. Aber als ich zwei Stunden später nach unten ging, um das Abendessen zuzubereiten, schien die See plötzlich rauer zu werden. Es viel mir schwer, die Kartoffeln in der Pfanne zu halten. Dafür konnte es nur zwei Ursachen geben: Entweder der Wind frischte ausgerechnet jetzt auf oder Michael luvte gen Norden an, um die Westwind einzuholen. Also rief ich immer wieder nach oben “Nicht nach Norden!”. Die nicht ganz präzise Anweisung – es war ja nur nördlicher und nicht direkt nach Norden – führte zu einem Kurs von 317 statt 270 Grad.
Als ich mit dem Bauernfrühstück fertig war, kochten nicht nur die Kartoffeln. Warum müssen wir uns mitten auf dem Atlantik einem anderen Schiff so weit nähern? Dann auch noch gegen meine – zumindest aus meiner Sicht – eindeutige Anweisung? Unterschätze ich das Bedürfnis der Crew nach weiterer Gesellschaft? Nach dem wir gegessen und ich dem Funkverkehr zur Westwind zugestimmt hatte, ging ich zu Bett. Nach dem eigentlich obligatorischen Reffen vor der Nacht war mir nun nicht mehr zu mute. Außerdem steckte mir noch die letzte schlaflose Nacht in den Knochen und meine nächste Wache war nicht mehr weit.
7.12. – Stürmische See in der Nacht
Meine Nacht währte nicht lang. Gegen 1:30 Uhr holte mich Sebastian aus dem Bett. Der Wind wurde zu stark und die Wellen zu steil. Das war keine Minute zu spät. Ich hatte gerade das Ruder übernommen, schon war die Situation zu viel für den Autopiloten. Also Handsteuerung bei hohen Wellen, stürmischem Wind, in Dunkelheit bei nur einem Reff. Prima!
Wir haben nur 1 Reff gesetzt. Die Wellen waren schon zu hoch, um das Boot in den Wind zu drehen. Auf dem Segel war aber zuviel Druck, um das Großsegel in das zweite Reff zu nehmen. Also holten wir Michael aus dem Bett und refften das Großsegel mit mehreren Halsen. Das tut weder dem Segel, noch dem Rigg gut, war aber notwendig. Hätte ich nur am Vorabend das 2. Reff – wie ursprünglich geplant – rein genommen. Die nächsten zwei Stunden saßen mir Michael und Sebastian gegenüber und informierten mich über achterlich hereinkommende Wellen und Brecher. Glücklicherweise wehte der Wind recht stetig aus achtern. Die Wellen waren zwar steil und ihre Höhe in der Dunkelheit schwer einschätzbar aber sie kamen nahezu allesamt genau von achtern. So konnte ich gut auf ihnen surfen. Vereinzelt brachen einige Wellen. Ihre Schaumkronen schießen dann von links und rechts heran und versuchen, die Aurelia aus dem Kurs zu drücken. Doch Michael und Sebastian waren aufmerksam und informierten mich rechtzeitig über jede brechende Welle. So kamen wir letztendlich doch sehr gut durch den unerwarteten Sturm. Gegen 3:30 Uhr war der Spuk weitestgehend vorbei. Der Autopilot konnte seinen Dienst wieder aufnehmen.
Nach einem ruhigen Vormittag sendeten wir 12:00 UTC die tägliche Etmal-Nachricht, in der wir dieses Mal stolze 160 Seemeilen verkünden konnten und genossen das zugehörige Bier.
Die ersten Stunden ausgenommen war es heut ein schöner Segeltag. Der Wind lag stabil über 20 Knoten. Wir segelten weiter im 2. Reff. So konnte ich die Schadensbilanz am Großsegel noch ein wenig vor mir herschieben. Heut war erst mal Erholung angesagt. Gegen Abend spielten wir wieder Karten. Das entwickelt sich ebenfalls so langsam zu einem angenehmen Ritual. Auch, wenn ich in der Spielstatistik hoffnungslos hinten liege.
8.12.19 – Schadensbilanz
Gegen 5:00 Uhr zogen mehrere Regenzellen an uns vorbei. Die eine oder andere leider auch über uns hinweg. Jedesmal drehte der Wind und frischte auf bis zu 30 Knoten auf. Wird es wieder hohe Wellen geben? Jein! Die steilen Wellen blieben aus, lange kappelige Wellen mit einer Höhe von etwa 2,5 m ließen die Aurelia heut aber wieder stärker rollen, als wir gegen 14:00 Uhr das Hauptsegel bargen. Eine gute Gelegenheit, die Bilanz vom gestrigen Sturm zu ziehen:
- Zwei gebrochene Rutscher (Easy, Ersatz ist da.)
- Der am Kopf angenähte Rutscher ist ebenfalls zerbrochen, hier muss vom Segelmacher ein neuer eingenäht werden. Notdürftigen Ersatz bekommen wir aber hin.
- Ein münzgroßes Loch klaffte in der Nähe des Vorlieks. Das können wir notdürftig reparieren, muss aber später genäht werden.
- Einen Rutscher hat es samt Edelstahlöse aus dem Segel gerissen. Das kann ebenfalls nur der Segelmacher reparieren. Hier können wir nichts tun.
- Den Backofen hat es aus seiner Verankerung gerissen und seinen Stecker aus der Steckdose. Er folg im Sturm durch den Salon und hinterließ ein paar Schrammen im Furnier.
- In den von Hand gesteuerten 2 Stunden legten wir eine Strecke von 22 Seemeilen zurück, also im Schnitt 11 Knoten, 3 Knoten über unserer Rumpfgeschwindigkeit. Verrückt!
Das Etmal lag heut wieder bei guten 150 Seemeilen. Ein Drittel haben wir geschafft. Die Prognose der Ankunft liegt irgendwo zwischen dem 17. und 18.12. Schaffen wir den 17., versuchen wir, die Marigo-Bay in St. Lucia anzulaufen. Hier würde Sebastian bei seinen kurzen Karibikaufenthalt komprimiertes Karibikfeeling tanken können.
Am Nachmittag reparierten wir das Hauptsegel so gut es ging. Beim Testen des Ergebnisses gab es einige Irritationen zur Vorgehensweise. Den Frust darüber bekämpften wir mit dem Versprechen, besser zu kommunizieren. Genauer gesagt, ich möchte besser erklären, was ich vorhabe und die Crew wird eher Fragen stellen, wenn noch etwas unklar ist.
Wir sind jetzt mehr als 2 Wochen gemeinsam auf dem Schiff. Nach meinen Erfahrungen ein typischer Timeslot, in dem erste Unstimmigkeiten aufbrechen. Wenn wir mit den weiteren auch so umgehen, mache ich mir um die verbleibende Zeit wenig Sorgen.
Der Tag ging zu Ende wie er begann: Mit einer Regenzelle. Auf dem Foto ist gut zu erkennen, wie sie auf dem Radarbild erscheint.