
Atlantiküberquerung Teil 2
Ein Drittel der Distanz zwischen den Kap Verden und Martinique haben wir bereits hinter uns gelassen. Die Geschwindigkeit ist sehr gut. Allerdings hatten wir auch einiges Defekte. Ob das so weitergeht?
9.12.19 – Was ist hier nur los?
Seit drei Uhr regnet es. Teilweise so stark, dass wir das Schott schließen mussten. Das erste Mal seit langem fand das Frühstück im Salon statt. Dann besserte sich das Wetter. Nach der obligatorischen Etmal-Nachricht (139 sm) war der Wind soweit abgeflaut, dass es sich lohnte, das Code 0 zu setzen. Dazu ging ich auf das Vorschiff. Dort angekommen sah ich die zwei herumbaumelnde Edelstahllaschen, die eigentlich die Genua mit dem Bugspriet verbinden. Beide Befestigungsschrauben waren rausgefallen. Glücklicherweise fand ich zwei Ersatzschrauben. Sebastian half mir, diese wieder einzusetzen, während ich die Genua-Rolle nach unten drückte. „Schau mal hier!“ rief er und hielt mir die Original-Schraube vor die Nase. Sie hatte es sich trotz der hohen See in der linken Ankerhalterung gemütlich gemacht. Was für ein Glück! Während er sie einsetzte schaute ich mich auf dem Vorschiff um und siehe da, die zweite Schraube fand sich an der Steuerbordreeling wieder. Zwei Schrauben, die sich gleichzeitig lösen und trotz hohen Seegangs beide an Bord geblieben sind. So viel Zufall hätte ich nicht für möglich gehalten.
Nachdem beide Schrauben wieder ihre Aufgabe erfüllten, brauchten wir nicht lange zu warten und das nächste Issue kündigte sich an – als Déjà-vu:
Es lief wieder Öl aus dem Hydraulik-Zylinder. Er hatte sich erneut gelöst. Dieses Mal befestigte ich ihn mit Panzertape. Michael und Sebastian konstruierten eine Auffangschale.
Oben drauf klingelte am Nachmittag auch noch der Niedrig-Spannungs-Alarm. Ein Grund war nicht ersichtlich. Sicherheitshalber ließen wir den Motor für zwei Stunden laufen, um die 12-Volt-Batterien stärker aufzuladen.
Das waren genug Probleme für einen Tag. Wir beließen es beim Segeln mit der Genua. Insgeheim hoffte ich darauf, dies auch bis Martinique so beizubehalten.
Nachmittag verspeisten wir die letzten Kartoffeln, die uns Michael schälte. Trotz all der Probleme war die Stimmung an Bord recht gut und irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir das Gröbste hinter uns haben. Der Tag verabschiedete sich mit einem grandiosen Vollmond.
10.12.19 – Schaukeln gen Westen
Heut war ein herrlich ruhiger Tag. Mit ausgebaumter Genua geht es bei etwa 20 kn Wind gen Westen. Das Etmal lag bei 140 sm. Nur noch wenige Meilen, dann haben wir die Hälfte der Strecke hinter uns.
Einzig das Rollen nervt. Ich hatte mir den Passatwind anders vorgestellt: Eine stabilere Windrichtung mit höheren aber gleichmäßigeren Wellen. Statt dessen können wir uns wohl darauf einstellen, dass die See so kappelig bleibt und der Wind weiterhin aus einem Bereich von 75 – 140 Grad weht.
Wir nutzten den ruhigen Tag, um uns die Settings des Autopiloten anzuschauen. Er ist sehr flexibel, aber eines ist merkwürdig. Er schaltet relativ grob zwischen hoher und niedriger Intensität der Steuerbewegungen um. Für seine Entscheidung zwischen beiden Modi gibt es mehrere Einstellungen. Nach einigem Experimentieren fanden wir eine, die den Autopiloten überzeugte, beim „Lo“ zu bleiben.
Jetzt lässt es sich bequem Segeln. Mit dem Buch in der einen und dem Bierchen in der anderen Hand. Herrlich, so soll es sein!
11.12.19 – Bergfest
Wir rechnen mit etwa 2100 Seemeilen von Mindelo bis Le Marin. Demnach war es während Michaels Wache soweit: Die Hälfte ist geschafft. Ab jetzt kommen wir dem Land wieder näher. Ein guter Grund, den Rum aus seinem Versteck zu holen.
Der Rest des Tages ist schnell erzählt. Eigentlich schade, gerade über die schönen Segeltage weiß ich wenig zu schreiben.
Wir genossen den Tag, Michael legte einen Waschtag ein. Das Etmal 137 sm liegt gerade noch im Normbereich. Die Hochrechnung zeigt stabil auf den 18.12. Damit wird die Marigot Bay wohl leider ausfallen müssen. Wir werden aber pünktlich ankommen, um Nicole vom Flughafen abzuholen und Sebastian wird seinen Flug erreichen.
12.12.19 – Ein erholsamer Tag
Ein weiterer schöner Segeltag. Wir spielten viel Karten und genossen die Abwesenheit von Problemen. Lediglich die 12V-Spannung meldete sich mit dem Wunsch, mit Hilfe des Motors aufgeladen zu werden. Also fuhren wir 2 Stunden mit Motorunterstützung. So besserten wir gleichzeitig unser Etmal von heute nur 131 Seemeilen etwas auf und bekamen auch noch heißes Wasser aufbereitet.
Den Versuch, mit dem Code 0 bei 17 kn Wind etwas mehr Fahrt zu machen, haben wir nach wenigen Minuten wieder abgebrochen. Durch das Rollen der Aurelia lässt es sich schwer handhaben. Von dem Zusatzsegel hatte ich mir mehr erwartet. Schade! Vielleicht gibt es später bessere Situationen, bei denen sich sein Einsatz lohnt. Also verlängerten wir nur den Spibaum. So bekamen wir etwas mehr Wind in die Genua.
In der Nacht fiel sowohl Michael als auch mir das grüne Leuchten des Vorsegels auf. Dank der lichtempfindlichen Bildsensoren kann man das sogar ansatzweise einfangen:
13.12. – Schmetterling
Der Wind liegt jetzt stabil unter 20 Knoten. Also setzten wir das Groß und starteten im Schmetterlingsmodus in den „Schlussspurt“ der letzten 750 Seemeilen. Das Etmal liegt bei 136 sm.
Aus unerfindlichem Grund meldet der Satellitentracker seit heute Nachmittag zu viele zurückgelegte Seemeilen. 3725 sm statt ca. 1400. Die Bemessung des Etmal wird nun wohl etwas schwieriger.
14.12. – Das letzte Drittel beginnt
Am Vormittag haben wir das zweite Drittel der Strecke hinter uns gelassen. Dank Großsegel und gelegentlicher Motorunterstützung liegen wir wieder bei 148 sm in 24 Stunden.
Der Crew muss ich heut mal ein dickes Lob aussprechen. Wer hätte gedacht, dass die Küche nach 1500 Seemeilen auf See so aussieht?

15.12. – Geminiden und Solarstromausfall
Als ich die Nachtwache von Michael übernahm, machte er mich auf die Geminiden aufmerksam. Sie erreichen in dieser Nacht ihr Maximum. Also prüfte ich den Wind, Seegang und den Plotter, bevor ich mir es auf der Cockpitbank gemütlich machte und das Spektakel beobachtete.
Ich hatte Glück. Der Mond ging unter. Es gab keine Wolken und auch kein Schiff weit und breit. Also schaltete ich für eine Weile die Positionslampen aus und genoss den gigantischen Anblick. Das muss man mit eigenen Augen sehen! Millionen Sterne leuchten am Himmel. Hin und wieder schossen kleine Meteore durch den Himmel.
Irgendwann frischte der Wind auf. Die Wellen wurden nicht viel steiler aber es gesellte sich eine dritte Richtung hinzu. Die Spitzen der Überlagerung wollten die Aurelia aus der Bahn werfen. Dafür reichte es zwar nicht aber das Lose-Schrauben-Problem meldete sich wieder.

Zuerst lockerten sich zwei am Spi-Baum, später verabschiedete sich eine Leitung der Solaranlage aus der Klemmleiste. Anstatt die Verbindungen zu kontrollieren, tauschte ich gleich den gesamten Solarladeregler. Er musste zuvor schon einige Male zurückgesetzt werden. Den Ersatzregler hatte Michael aus Deutschland mitgebracht. Der Tausch brachte keinen Erfolg. Allerdings reichte ein Blick nach rechts: Das Leitung vom Solardach hatte sich aus der Klemme gelöst. Eine Drehung mit dem Schraubenzieher und das Problem war gelöst.
Nach dem Etmal von 153 sm sind es nunmehr nur noch 458 sm bis Martinique. Ab jetzt könnten wir allein mit dem Motor ins Ziel kommen. Ein beruhigendes Gefühl.
16.12.19 – Algenteppiche
Nach ein paar ruhigen Tagen nehmen die Wellen wieder zu. Ebenso die Flüche aus dem Salon und die Anzahl der blauen Flecken. Das hält uns aber nicht von der Vorfreude auf die näher kommende Küste ab.

Durch die Zeitverschiebung müssen wir unser Etmal-Bier mittlerweile kurz nach dem Frühstück trinken. Das kann für die restlichen 318 sm gern unser größtes Problem bleiben :-).

Besorgniserregend sind die vielen Algen, die wir durchqueren. Mitten auf dem Atlantik hätte ich sie nicht vermutet. Kein gutes Gefühl, die Berichte der Forscher mit eigenen Augen bestätigt zu sehen. Wenn es zutrifft, dass wir mit Plastik, Nitraten und CO2-Einlagerung das Plankton in den Meeren so drastisch verringern, wie es die Forscher vermuten, wird es wohl das k.O. für die Natur sein, wie wir sie kennen. Ich hoffe, in einem späteren Blogeintrag näher darauf einzugehen.

17.12.19 – Letzter Tag ohne Land
Gegen Morgen zeigte der Atlantik noch einmal, was er kann (na ja, er kann schon mehr, aber das will ich gar nicht erleben). Wind bis 31 Knoten und starke Wellen legten die Aurelia soweit auf die Seite, dass die Steuerbordkante kurzzeitig unter Wasser lag.
Der weitere Tag war – wie auf dem Foto unschwer zu erkennen – von der Vorfreude auf die Karibik bestimmt. Der Meeresgrund unter uns wird bereits flacher. Nur noch 166 Seemeilen.
18.12.19 – Hilfe, die Aliens kommen
Heut morgen übergab ich meine Wache an Sebastian. Als ich noch einmal an Deck ging, traute ich kaum meinen Augen: Am Himmel hing eine gigantische „Taschenlampe“ mit der Helligkeit eines Vollmonds und schien auf uns herab.
WAS IST DAS ???
Für ein Flugzeug zu hell, für einen Meteor zu langsam. Wir konnten es nicht einordnen. Erst mal ein Foto machen! Das glaubt uns kein Mensch! Landet hier ein UFO? Für uns war es jedenfalls ein Unidentifiziertes FlugObjekt. Kurze Zeit später wurde der Lichtschein schwächer. Eine zweite Lichtquelle öffnete sich. Ich habe immer noch tausend Fragezeichen im Kopf.
Erst viele Minuten später erinnerte ich mich an einen Bericht, bei dem in Kalifornien ähnliche Bilder für Ufo-Alarme sorgten und sich nachträglich als Raketenstart erwiesen. So musste es hier auch sein. Das bestätigte sich wenige Stunden später mit dem einsetzenden Handy-Empfang. Es war der Start einer Rakete aus Kourou in Französisch-Guyana.
12:40 Uhr war es dann soweit: „Land in Sicht!“ Zeit, die Fahne zu hissen und den Handyempfang zu checken.
Sebastian wird uns schon bald nach der Ankunft verlassen. Letzte Chance für ein gemeinsames Foto hinter dem Steuer.

Was bei der Ankunft passierte, erfahrt Ihr im nächsten Logbucheintrag.