Bye Bye Curacao
Nach zehn Monaten Corona-Verspätung geht es endlich weiter nach Kolumbien. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiede ich mich von Curacao und segle die 370 Seemeilen einhand nach Santa Marta.
Verabschiedung
Am Donnerstag, 3.12. lieh mir die Crew der Pusteblume ihren Mietwagen, damit ich ausklarieren konnte. Als erstes ging es nach Otrabanda zum Immigration Office. Die Formalitäten waren nach wenigen Minuten erledigt.
Als nächstes fuhr ich zum Zoll. Ohne einen Meter des Verfahrens erreichte ich das Tor und fand es verschlossen vor. Der Zoll hatte es tatsächlich geschafft, in den 10 Monaten das Hauptgebäude fertig zu renovieren und war wenige Tage zuvor zurückgezogen.
Im neuen Gebäude empfing mich ein Team von vier Zollbeamten mit herunterhängenden Masken. Glücklicherweise trennten uns Glasscheiben bis auf ein Durchreichfenster vollständig ab. Die selbst verriegelnde Tür war durch einen Klotz davor bewahrt, ihre Funktion zu erfüllen. Unwohlsein breitete sich in mir aus. Ich hielt so gut es ging Abstand zum Beamten an der Durchreiche und kam nur zur Übergabe der Dokumente näher. Die Truppe machte den Eindruck, als hätten sie am Vorabend den Einzug gefeiert und dies noch nicht vollständig verarbeitet. Nach etwa 30 Minuten angestrengten Kopierens von Dokumenten und kräftezehrendem Bewegen der Computer-Maus war ich auch dort entlassen. Der Gedanke an eine Beschwerde ob der laschen Hygienemaßnahmen verflüchtigte sich mit achterlich kleiner werdendem Gebäude. Wenige Tage später erfuhr ich, dass diese Beamten an Covid19 erkrankten. Dementsprechend unruhig beobachte ich nun mein eigenes Befinden. Bis jetzt geht’s mir gut. Der Kelch ist wohl noch einmal an mir vorbei gegangen.
Nach letzten Vorbereitungen auf der Aurelia überraschte mich die Crew der Pusteblume mit einem Abschiedsessen. Kartoffelsalat, Schnitzel und Bier, das schneller nachgeschenkt wurde, als ich es trinken konnte. Keine Ahnung, womit ich so viel Gastfreundschaft verdient habe, aber ich habe sie genossen und mich sehr darüber gefreut.
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker um fünf Uhr. Nach dem Frühstück und letzten Aufbauarbeiten, Wettercheck und Routenupdate ging es pünktlich 08:00 Uhr los. Uli und Milena lösten die Leinen, dann war Aurelia wieder frei. Ein rührender Abschied durch die Crews der Fabiola, der Pusteblume, der Marlin und der Charon ließen etwas Wehmut aufkommen. Nach 10 Monaten war Curacao fast so etwas wie mein zweites Zuhause geworden.
Tag 1 – Aruba
Ziel des ersten Tages war das nordöstliche Passieren von Aruba. Hier gibt es wenig Schiffsverkehr, keinen Stress mit der Küstenwache und kein Risiko, in venezolanische Gewässer zu gelangen. Nachdem eine letzte Flaute vor Curacao überwunden war, ging es bei halbem Wind mit beachtlichen 7-8 Knoten zügig vorbei an Aruba.
Im Falle eines größeren technischen Problems hätte es in dieser Zeit zu einer Legerwall-Situation an der Küste von Aruba kommen können. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber an Schlaf war für mich in dieser Zeit nicht zu denken. Erst als ich die Insel passiert hatte, versuchte ich mich am 30-Minuten-Intervall-Schlaf. Aber es wollte einfach nicht funktionieren. Zu viel Adrenalin hinderte mich am Einschlafen. Also blieb ich wach und genoss den Sternenhimmel.
Tag 2 – Golfo de Venezuela
Gegen 8:00 Uhr barg ich das Großsegel und nutzte nur noch die Genua, um vor dem Wind mit 5 bis 6 Knoten Fahrt dahinzusegeln. Es war ein wunderbar sonniger Tag. Ich nutzte die viele Sonnenenergie zum Einsatz des Watermakers und füllte meine Wassertanks.
Hin und wieder musste ich auf eines der vielen Frachtschiffe achten, die sich auf der gleichen Breite befanden und entweder von/zum Panama-Kanal unterwegs waren oder ebenfalls Kolumbien anliefen. Ansonsten war es ein sehr entspannter Segeltag. Gegen Abend wechselte ich auf einen südlicheren Kurs. So war ich sicher vor den Panama-Frachtern. Fast die gesamte Nacht holte ich den Schlaf in Intervallen von 30 bis 40 Minuten nach.
Einmal im Rhythmus, ist das gar nicht so schwer. Klingelt der Wecker, schaut man kurz auf den Monitor. Ist keine Gefahr in Sicht, schläft man sofort wieder ein. Gibt es eine Auffälligkeit, z.B. ein Schiff in der Nähe, ist man binnen Sekunden hellwach.
Tag 3 – Entlang der Halbinsel Guajira
Astronavigation
Frisch ausgeschlafen machte ich mich kurz vor dem Morgengrauen an den ersten Versuch einer Positionsbestimmung anhand der Gestirne. Ich hatte es vor Jahren schon einmal zu Hause ausprobiert und war gar nicht so unzufrieden mit dem Ergebnis. Inzwischen kenne ich viel genauere Methoden. Doch für die praktische Umsetzung fehlen mir noch ein paar Kenntnisse und die notwendige Übung, dies auch auf See anzuwenden. Das Thema steht seit Monaten auf der To-Do-Liste, rutschte jedoch immer wieder zu Gunsten anderer Themen nach unten. Also nutzte ich ausschließlich meine Schulkenntnisse und ermittelte die ungefähre Position anhand des Polarsterns und des Sonnenaufgangs. Einem Fachmann werden sich jetzt vermutlich die Haare sträuben, aber man muss halt damit arbeiten, was man hat. Und das ging so:
- Der Polarstern befindet sich mit unbekannter Abweichung genau auf der Erdachse, und zwar nördlich. Also steht er am Nordpol (90° Nord) im Zenit und am Äquator (0° Nord) am Horizont. Meine Relativ ungenauen drei Messungen per Faust und Daumen ergaben im Mittelwert 11°20 Minuten Nord.
- Die Sonne geht bei 11° Nord am Längengrad 0° nahe der Wintersonnenwende um geschätzte 06:15 Uhr auf. Ich konnte den Sonnenaufgang um 11:02 UTC beobachten. Pro Stunde bewegt sich die Sonne um 15° nach Westen. Ich befinde mich demnach auf ca. 71°42‘ West.
- Ein Abgleich mit den GPS-Daten brachte dann eine Abweichung von 0°49‘ N und 0°17’W zu Tage. An einer Küste möchte ich mit dieser Methode nicht navigieren. Aber mit etwas mehr Übung und Kenntnissen über die Abweichungen ist sie für die Bestimmung der ungefähren Position auf dem Pazifik sicherlich brauchbar.
Trossen
Das Trossen ist eine Hilfsmaßnahme, um größere Stürme sicher zu durchfahren. Hierzu werden starke, lange Leinen, z.B. Festmacher, zu einer langen Trosse verbunden und mit jeweils einem Ende an der steuer- und backbordseitigen Heckklampe befestigt und ausgebracht. Es bildet sich ein langes U am Heck, welches das Schiff bremst und seine Richtung stabilisiert.
Bei aktueller Geschwindigkeit würde ich Santa Marta mitten in der Nacht erreichen. Allein in der Nacht wollte ich nicht in einen fremden Hafen. Ich hatte also die Wahl, etwas schneller oder etwas langsamer zu segeln. Ich entschied mich für die gemütliche Variante. Zuerst reffte ich die Genua auf etwa 50% und brachte die Trossen aus. Beides reduzierte die Geschwindigkeit zwar spürbar, aber es wurde so langsam klar: Ich werde vor den ersten Sonnenstrahlen in der Marina sein.
Gegen Abend wurde das Wetter zusehends schlechter. Zunächst stieg die Windgeschwindigkeit langsam, aber stetig an. Schließlich nahm auch die Wellenhöhe zu. Als ich in der Nacht in die Bucht von Santa Marta einbog, erreichten sie bei gelegentlichen 30 kn Wind wieder eine Höhe von bis zu 3 Metern. Dennoch musste der Autopilot nur minimale Korrekturen durchführen. Die Trossen hielten das Boot wunderbar in der Spur. Das Verfahren werde ich in Zukunft wohl viel öfter anwenden.
Tag 4 – Ankunft
Wie geplant, erreichte ich in den Morgenstunden die Marina Santa Marta. Eine überaus schlechte Funkverbindung machte es uns schwer, die richtigen Daten auszutauschen. Mittlerweile war ich bereits in der Marina, musste sie jedoch wieder verlassen. Dann kam die Küstenwache, kontrollierte mein Boot und die Unterlagen und erklärte mir, dass es die Frage nach meiner Nationalität war, die ich über Funk nicht verstanden hatte.
Einklarieren
Anschließend ging es schnell. Die Mitarbeiter der Marina informierten mich über die Seite, an der ich anlegen werde. Ich wechselte schnell die Fender und fuhr in den Hafen. Sofort waren drei/vier Leute am Steg und halfen beim Festmachen.
Kurze Zeit später kam der Arzt zur Beurteilung meines Gesundheitszustandes. Anschließend durfte ich das Schiff verlassen und mich zumindest in der Marina bewegen. Bis zum Abend waren dann auch die Formalitäten des Einklarierens erledigt. Ich musste nichts weiter tun, als ein paar Unterschriften zu leisten. Die Marina kümmerte sich rührend um all die Formalitäten.
Bekannte und neue Gesichter
Noch bevor die letzte Leine festgezurrt war, wurde ich schon auf einen Kaffee auf dem Nachbarboot eingeladen. Dirk Müller kam mit seiner Jeanneau 439 nicht etwa aus Deutschland sondern aus Australien. Wir hatten sofort einige Gesprächsthemen und fanden viele gleiche „Krankheiten“ unserer Boote. So hatte auch er das Problem mit dem undichten Ölzylinder des Autopiloten.
Gegenüber der Aurelia liegt die Lea Lea Elua. Die Crew des Katamarans aus Hawaii hatte ich bereits in Curacao kennengelernt. Leider sind sie bereits mit dem Auto auf einer ausgiebigen Landtour. Sie werde ich wohl erst später in Panama oder auf den Marquesas wieder treffen.
Ausschlafen
Nach den 72 Stunden Alleinfahrt war ich nun doch etwas müde. Schließlich konnte ich nur eine der drei Nächte schlafen. Also war für mich mit dem Sonnenuntergang der Tag zu Ende. Ich verschwand in meiner Koje. Morgen kommt Maya, mein neues Crew-Mitglied. Ich freu mich schon drauf und bin auch gespannt, was sie aus Ihrer Zeit in Kolumbien berichten wird.