
Durch den Panamakanal
Einer der emotionalsten Momente meiner Reise, vielleicht sogar meines Lebens, war die Durchquerung des Panama-Kanals. Bereits als Kind war ich begeistert davon, wie große Schiffe mit Loks und Schleusen über einen See von einem Ozean in den anderen gebracht werden können. Damals in der DDR hatte ich nicht einmal gewagt, davon zu träumen, dies einmal mit eigenen Augen zu sehen, geschweige denn, ihn mit der eigenen Segelyacht zu durchqueren. Nun wurde es Realität.
Auf die Plätze …
Nach all der Vorbereitung erreichten die Linehandler Tino, Eric und Guti die Aurelia überpünktlich. So hatten wir ausreichend Zeit für Gespräche, Fotos und letzte Treffen mit denen, die noch ein Weilchen in der Shelter Bay Marina bleiben. Ich für meinen Teil war sehr froh, dass es nun doch noch vor dem Jahreswechsel klappt. Mittlerweile soll der Silvesterlockdown in Teilen bis Mitte Januar verlängert werden.

Pünktlich um 13:00 Uhr des 28. Dezember 2020 legten wir ab, fuhren eine knappe Seemeile Richtung Kanal und ankerten zunächst für zwei weitere Stunden bis der Pilot, korrekter gesagt, der Advisor an Bord kam. Für die Mitarbeiter des Kanals ist das ein wichtiger Unterschied. Der Pilot hat eine höhere Ausbildung und ist befähigt, die großen Schiffe der Panamx und seit 2016 auch der NeoPanamax-Klasse durch den Kanal zu begleiten. Sie kennen sich mit den Begebenheiten und dem Prozedere im Kanal bestens aus und geben dem Kapitän alle notwendigen Hinweise. Letzterer behält zwar die Entscheidungsgewalt, hört aber besser auf das, was der Pilot empfiehlt.

Ich war mit unserem Advisor sehr zufrieden. Er gab nicht nur Hinweise, sondern erklärte auch die Hintergründe dazu. Damit kann ich gut arbeiten. Es ist nicht nur interessanter, man kann auch besser und schneller agieren, wenn man weiß, warum man nun dieses oder jenes tun soll.
Zur ersten Schleuse
Gegen 16:00 Uhr lichteten wir den Anker und begaben uns in den 150m breiten Tonnenstrich, der uns direkt zur ersten Schleusenkammer führte. Für die knapp 6 Seemeilen benötigten wir allerdings fast zwei Stunden. Der vor uns fahrende Frachter ICE Rose ging mit uns gemeinsam in die Schleuse. Also mussten wir uns seinem Tempo anpassen.
Immer wieder kamen uns Schiffe entgegen. Der Abstand war geringer als 100m. Auf hoher See wäre ich da in höchster Alarmbereitschaft. Hier ist es ganz normal. Auf Grund der geringen Geschwindigkeit gab es keine Probleme mit Sog oder Bugwellen. Lediglich in der Schleuse kann es zu einer erheblichen Strömung kommen.
26 Meter aufwärts
Mit Einbruch der Dämmerung kamen wir an der ersten der drei Schleusenkammern an. Nach ein paar lobenden Worten vom Advisor, während wir auf die richtige Positionierung der ICE Rose warteten, ging es hinein. Dabei laufen 4 Kanalmitarbeiter an der Mauer mit uns mit und werfen zunächst dünne, leichte Leinen mit einer Affenfaust am Ende auf unser Schiff. Früher waren sie mit Stahl gefüllt. Daher ich hatte Angst um mein Solardach. Heute sind sie nur aus Seilen geknotet. Außerdem kann man es als Skipper den Werfern durchaus etwas leichter machen, indem man zunächst an die eine, dann an die andere Mauer näher heranfährt. Übertreiben sollte man es dabei nicht, denn ein Wegkommen ist nicht leicht, wenn der Radius des ausscherenden Hecks größer als der Abstand zur Mauer ist. Bei uns lief alles perfekt.
An der richtigen Position angekommen, werden mit den dünnen Leinen die Festmacher an Land gezogen und auf Pollern befestigt. Sobald Wasser in die Schleusenkammer fließt, müssen die Linehandler letztere regelmäßig und vor allem synchron dichtholen. Oben angekommen, werden die Festmacher wieder eingeholt. Bis zur dritten Kammer bleiben wir über die dünnen Leinen mit dem Festland verbunden. Das folgende Video zeigt die wesentlichen Schritte, allerdings stark gekürzt und im Zeitraffer. Tatsächlich benötigt man etwas mehr als 20 Minuten pro Kammer.
Eine Nacht im Gatun-See
Nach dem Verlassen der 3. Kammer – natürlich regnete es mal wieder – fuhren wir zu einer nahe gelegenen Mooring-Boje. So ein Monster habe ich noch nie gesehen. Sie hatte einen Durchmesser von etwa 2,5m und war komplett aus Gummi. Kurz nach 20:00 Uhr machten wir seitlich an ihr fest.
Nachdem der Advisor abgeholt wurde, bereiteten uns Maya und Tino noch ein leckeres Abendessen. Dann verschwanden wir recht müde in unseren Kojen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, öffneten wir alle Luken und verteilten uns auf die 3 Kabinen und die Saloncouch. Ich begnügte mich mit einer Matratze auf dem Boden des Salons.

29 Meilen Süßwasser
Am nächsten Morgen wollten wir uns gerade ein Frühstück zubereiten, da kam auch schon der neue Advisor mit einem frühen Termin für die erste Schleuse Richtung Pazifik. Wir mussten sofort aufbrechen, um rechtzeitig die 29 Seemeilen bis zur ersten Kammer hinter uns zu bringen.
Motor an, Kühlwasserkontrolle, Leinen los!
Ich vergaß zunächst sogar, den Satelliten-Tracker einzuschalten, mit dem Ihr mich verfolgen könnt. Wenigstens blieb noch die Zeit für einen Blick nach hinten. Dort fuhr gerade ein riesiges Containerschiff der NeoPanamax-Klasse in die erste der seit 2016 geöffneten neuen Schleusen Richtung Atlantik.

Dann ging es vorbei an unserem neuen Schleusenpartner, einem PKW-Transportschiff, dessen Namen ich leider vergessen habe. Es war jedoch deutlich größer als das gestrige und passte später gerade so in die Schleusenkammern.
Nun hatten wir trotz der 6 Knoten Fahrt, die meinem Motor bis zu 2.700 U/min abforderten, ausreichend Zeit, Blicke und Gedanken schweifen zu lassen.
Blicke
Zunächst schweiften die Augen entlang der naturbelassenen Uferlinien. Später wurden die Eingriffe des Menschen deutlicher.
Je näher wir der Pazifik-Seite kamen, desto höher wurde das Land. Hier konnte man gut erkennen, dass ein Kanal in die Berge geschlagen wurde. Mehr als 100.000 Arbeiter waren daran beteiligt. Mehr als jeder 5. starb dabei.
Hinzu kommen hunderte Tote während der US-amerikanischen Invasionen. Die letzte fand im Schatten der deutschen Wiedervereinigung statt.
Gedanken
Kindheitsträume
Ich weiß nicht genau, wann ich das erste Mal etwas über den Panama-Kanal las oder sah. Vermutlich war ich 10-12 Jahre alt und stöberte in meinem Kinderzimmer in den Ausgaben des DDR-Magazins „Jugend+Technik„. Fernweh war mir fremd. Die wenigen 100km Reiseradius Richtung Polen, Tschechoslowakei und Ungarn waren für mich Normalität. Ich hatte ja meinen Kopf. Darin spann ich mir die tollsten Sachen zusammen. Darunter Autos, die sich zur Stauvermeidung übereinander überholen konnten, riesige Glasglocken, die Biosphären vor der Umweltverschmutzung schützen und andere Dinge. Die Gedanken sind halt frei :-).
Auf die Idee, Schiffe mit einer Lok durch einen Kanal zu ziehen, wäre ich nie gekommen. Wieso springen sie nicht aus dem Gleis, wenn sie so ein schweres Schiff ziehen? Woher kommt das ganze Wasser, das von den Schleusen verbraucht wird? Wie kann man im Wasser graben? Ich hatte tausend Fragen, aber keinen, der darauf eine Antwort geben konnte. So wandte ich mich eher praktischen Dingen zu. Der Kanal und die vielen Ideen gerieten in Vergessenheit.

Fall der Mauer
Dann kam die deutsche Wiedervereinigung. Sie war eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass man zumindest davon Träumen konnte, einmal den Kanal zu sehen. Auch wenn ich damals nicht an den Kanal dachte, durchlebte ich jetzt und hier noch einmal in Gedanken die Zeit des Mauerfalls. Mit voller Wucht erwischten mich die Emotionen rund um die Erkenntnis, dass man mehr Freiheit gewonnen hatte, als man sich wenige Tage zuvor noch hatte vorstellen können.
Ich war froh, dass ich gerade eine Sonnenbrille trug. Es wäre mir schwergefallen, meine glasigen Augen zu erklären.
Weltumsegelung
Letztendlich dauerte es nach dem Fall der Mauer noch einmal 29 Jahre, bis die Überquerung des Panamakanals als Teil einer Weltumsegelung am 20.10.2018 kurz vor 5:00 Uhr morgens auf meiner ToDo-Liste erschien.

Es folgten 350 Tage Vorbereitung und 6.000 Seemeilen bis Curacao. Dann kam Covid19 und alles wurde auf der Zielgeraden noch einmal in Frage gestellt. Es gab nur ein kleines Fenster der Entspannung zwischen der ersten und zweiten Welle der beteiligten Länder. Das nutzte ich, um die Pläne wieder in Angriff zu nehmen.
Und nun bin ich hier, habe eine 12-Meter-Segelyacht unter meinen Füßen, und 5 Leute an Bord, die mir dabei helfen, den Traum wahr werden zu lassen. Was für eine Entwicklung! Noch einmal war ich froh über meine Sonnenbrille.

26 Meter abwärts
Gegen 13:00 Uhr erlöste mich die erste Schleuse aus meiner emotionalen Achterbahnfahrt. Zwar mussten wir noch einige Zeit warten, bis uns der Monsterfrachter einholte, aber es gab genug zu schauen und vorzubereiten. Diesmal fuhren wir zuerst in die Schleuse. Der Frachter machte erst dicht hinter uns halt – ein mulmiges Gefühl. Eine falsche Bewegung an seinem Joystick und wir sind nur noch Krümel am Schleusentor. Das passierte natürlich nicht. Alles lief glatt. Der obligatorische Regenschauer ereilte uns in der dritten Kammer, dann öffneten sich die Tore zum P A Z I F I K. Yeah.
Vorbei an der Mündung eines Flusses, der viele Sedimente mit sich führte, machten wir vor einem Containerhafen halt. Hier verließ uns der Advisor. Wenig später waren wir an der Marina Balboa. Hier gingen die Linehandler von Bord. Jetzt waren Maya und ich wieder allein auf dem Schiff. Glücklich und entspannt motorten wir Richtung Flamingo-Island, auf deren Rückseite wir ankern wollten. Plötzlich baute sich etwas großes Rotes vor uns auf. Vor lauter Entspannung hatte ich ganz vergessen, dass wir immer noch entlang des linken Randes eines betonnten Fahrwassers fuhren. Gerade noch rechtzeitig wich ich der letzten roten Tonne aus. Wenig später fiel unser Anker vor der beeindruckenden Skyline von Panama-City, direkt neben einem kleinen Segelboot voller Möwen und Pelikanen.
Trotz Temperaturen von über 25 Grad waren wir durchgefroren und hatten mittlerweile beide Pullover übergezogen. Regen und Wind haben uns recht ordentlich ausgekühlt.
EIN KOMMENTAR
Lieber Jörg
Habe deine Erlebnisse interessiert gelesen und kann sehr gut deine Gefühle nachempfinden.
Toll, dass du es geschafft hast! Uli und ich wünschen dir noch viel Erfolg, viel Spaß und ganz tolle Erlebnisse.
Bleib gesund und genieße es
Herzlichsten Grüße aus dem grauen Münsterland.
Milena & Uli