Spanische Wochen
Weniger als 1.000 Seemeilen fehlen noch bis zur Vollendung der Weltumsegelung. Einen Großteil davon absolvierte ich in den spanischen Wochen. Zunächst ging es von Sardinien nach Mallorca. Vor dort aus segelte ich vorbei an Ibiza zum spanischen Festland. Die dann noch verbleibende Strecke legte ich entlang des spanischen Festlands zurück.
Auf Grund meines neuen IT-Projekts blieben mir dafür nur die Wochenenden. Montag bis Freitag musste ich mich in einer Marina aufhalten. Nur dort habe ich hinreichende Arbeitsbedingungen. Dazu gehört eine stabile Lage des Schiffes und ein performanter Internetzugang. Zwischen Arbeit und Segeln blieb nicht viel Zeit für andere Aktivitäten. Ein paar erwähnenswerte Ereignisse gab es dann aber doch noch.
Mallorca
Anreise
Nach dem Ablegen in Carloforte ging es beinahe auf einer geraden Linie nach Mallorca. Nach der recht anstrengenden Woche freute ich mich auf ein erholsames Wochenende auf See. Das wurde es auch, allerdings hatte die Erholung ihre Grenzen. Segelt man allein, also „einhand“, gibt es immer etwas zu tun. Zudem darf man sich nur einen Intervallschlaf gönnen. Dieser ist im Mittelmeer auf Grund des deutlich dichteren Schiffsverkehrs wesentlich kürzer als auf den offenen Ozeanen.
Marina Cala d’Or
Für Mallorca hatte ich mir die Marina Cala d’Or für die nächste Arbeitswoche ausgesucht. Einerseits kannte ich die Marina schon von einer meiner ersten Bootsbesichtigungen, außerdem ist die Lage perfekt für eine schnelle Ab- und Weiterreise.
Als ich die Marina im Winter 2019 vom Land aus besuchte, wirkte sie klein und gemütlich. Ich sah lediglich ein paar Segelboote am Kai. Nun kam ich in der Hochsaison über das Meer und war über die Größe verblüfft. Ungläubig überprüfte ich mehrfach meine Koordinaten. Ich war am richtigen Ort. Die Marina glich einem Taubenschlag. Wie an zwei Perlenketten fuhren Boote durch die enge Fahrrinne rein und raus. Mein Liegeplatz befand sich natürlich in der hintersten Ecke. Nach den 48 Stunden auf See hieß es jetzt noch einmal, die Müdigkeit beiseitezuschieben und sich voll zu konzentrieren. Gegen 14:00 Uhr stand ein Mitarbeiter der Marina bereit, um meine Festmacher entgegenzunehmen. Sämtliche Formalitäten konnte ich vom Boot aus erledigen.
Ich hatte gerade das erste Anlegerbier geöffnet, als ich noch einmal den Liegeplatz wechseln musste. Mit wenig Begeisterung verlegte ich das Boot auf die andere Seite, auf der mich ein Betonsockel zu einem größeren Abstand zum hoch liegenden Steg zwang. Das werden sportliche Auf- und Abstiege.
Mann über Bord
Über 27.000 Seemeilen lagen nun schon hinter mir. Nie bin ich unbeabsichtigt von Bord gegangen. Das sollte nun ein Ende haben. Eines Nachmittags wollte ich noch einmal an Land. Auf dem Steg standen einige Segler und unterhielten sich. Unbewusst holte ich wohl etwas zu wenig Schwung beim Sprung auf den Steg, verlor das Gleichgewicht und viel rückwärts zwischen Steg und Aurelia ins Wasser. Nach einer Rückwärtsrolle unter Wasser kam ich wieder hoch, sammelte fluchend meine gerade noch schwimmenden Badelatschen ein. Ein spanischer Segler war sofort auf mein Boot gesprungen und half mir mit weiteren zu Hilfe eilenden aus dem Wasser. Nach einer kurzen Dusche bedankte ich mich in frischen Sachen mit ein paar Bier.
Erst zwei Stunden später musste ich feststellen, dass ich bei der Aktion meine neue Gleitsichtbrille verloren hatte. Sie liegt irgendwo zwischen Steg und Aurelia auf dem Grund. Ohne sie wird eine Weiterreise schwierig. Daher organisierte ich mir für den nächsten Tag einen Marina-Taucher.
Pünktlich zum verabredeten Termin war er zur Stelle und tauchte die betreffende Stelle ab. Nach wenigen Minuten kam er stolz und freudestrahlend nach oben und überreichte mir die gefundene Brille. Verblüfft mussten wir feststellen, dass ich wohl nicht der einzige mit diesem Missgeschick an dieser Stelle war. Es war die falsche. Also ging es für ihn noch einmal nach unten. Erneut wurde er fündig. Diesmal war es die richtige Brille und sie war völlig unbeschädigt. Erleichtert bedankte ich mich bei dem freundlichen Taucher, der sich ebenfalls sichtlich darüber freute, dass er helfen konnte.
Besuch von Freunden
Mit der wiedergewonnenen und mittlerweile frisch geputzten Brille konnte ich nun einer weiteren Abwechslung entgegensehen. Zunächst besuchte mich eine Bekannte, die bereits seit einiger Zeit in Mallorca lebt. Wir kennen uns aus unserer Accenture-Zeit, in der wir von 2000 bis 2001 gemeinsam auf einem größeren Projekt im Einsatz waren. Gemeinsam mit weiteren Kollegen treffen wir uns auch nach so langer Zeit immer noch zu unserem jährlichen Ski-Cup. Seit 2019 war ich auf Grund meiner Segeltour nicht dabei. Entsprechend groß war die Wiedersehensfreude.
Kurze Zeit später schauten auch noch Bree und Walter vorbei. Von ihnen hätte ich Anfang 2019 beinahe meine Segelyacht gekauft. Das hatte letztendlich nicht geklappt, weil ich ein wenig zu langsam war. Wir blieben aber in Kontakt und so konnten wir uns hier nach drei Jahren wiedersehen. Wir hatten uns so viel zu erzählen, dass ich leider nicht auf die Idee kam, ein Foto von uns zu machen.
Das waren auch schon meine Highlights von Mallorca. Für eine Inseltour blieb keine Zeit. Diese verbrachte ich überwiegend unter Deck mit der Strukturierung von Anforderungen in Jira und Confluence sowie dem Tracken des Projektfortschritts in meinem IT-Projekt. Erst am Freitagabend fand die Projektwoche ihr Ende. Nachdem alles verstaut war, machte ich mich auf den Weg zum spanischen Festland. Unterwegs gab es ein weiteres, ganz besonderes Wiedersehen.
Zunächst ging es jedoch vorbei an der südlichen Spitze der Isla de Cabrera. Noch war ich ja nicht am Ziel. Es sind noch einige Segeltage zu absolvieren. Trotzdem kam bereits jetzt beim Anblick des Sonnenuntergangs ein wenig Wehmut auf. Diese Momente werde ich definitiv vermissen.
Ibiza
Als ich am nächsten Morgen die Müdigkeit des Intervallschlafs mit dem ersten Kaffee zumindest teilweise verdrängt hatte, meldete ich mich bei Sheila. Sie war von Costa Rica bis zu den Tuamotus die immer gut gelaunte gute Seele der Aurelia-Crew. Jetzt arbeitete sie auf einem Katamaran in Ibiza. Dieser lag in der Cala Talamanca vor Anker, wollte jedoch noch am gleichen Tag in See stechen. Gerade noch rechtzeitig erreichte ich die Bucht und fand den Katamaran. Sheila stand bereits sprungbereit im Badeanzug an Deck und schwamm bereits zur Aurelia, bevor ich den Anker fallen lassen konnte. Wenige Augenblicke später saßen wir im Cockpit und genossen das Wiedersehen.
Viel Zeit blieb uns nicht. Die Crew des Katamarans wollte in See stechen und ich musste noch am Sonntag bis zum spanischen Festland gelangen. Gleichzeitig verließen wir die Bucht.
Nach meiner Hochrechnung wäre ich bereits am Sonntagmorgen an der spanischen Küste. Ich entschied mich daher, nicht zum ursprünglich anvisierten Hafen Alicante sondern bis Santa Pola zu segeln. Das verschaffte mir für das folgende Wochenende einige Stunden mehr Spielraum.
Santa Pola
Auf dem Weg nach Santa Pola bemerkte ich gerade noch rechtzeitig, dass dies vermutlich mein letzter Sonnenuntergang sein wird, bei dem die Sonne über dem Meer untergeht. Eventuell gibt es noch einen, wenn ich Gibraltar passiere, aber das steht noch nicht fest. Schnell holte ich die Kamara heraus und hielt den Moment für spätere Erinnerungen fest.
Der Hafen von Santa Pola wird vom Club Nautico und der Marina Miramar bewirtschaftet. Zusammen bieten sie fast 800 Liegeplätze. Die preiswerten des Club Nautico waren natürlich ausgebucht. Mir blieb also nur ein Platz in der Marina Miramar. Die Unterstützung beim Anlegen hielt sich in Grenzen. Ich bekam per Funk nur eine Nummer genannt und musste den Weg dahin alleine suchen. Glücklicherweise war dieser leicht zu finden. Die großzügig bemessenen Abstände zwischen den stabilen Fingerstegen machten ein Anlegen leicht.
Nach der Anmeldung blieb noch Zeit für eine Erkundungstour. Dann fiel ich ins Bett. Die folgende Woche verging dank intensiver Projektarbeit wie im Flug. Die Abendstunden nutzte ich zum Tanken an der nahe gelegenen Marina-Tankstelle und zum Aufstocken des Proviants. Hin und wieder kam sogar etwas Urlaubsfeeling auf, wenn ich über die mittlerweile wieder gut besuchte Uferpromenade spazierte.
Fast schon mit Routine verschwand am Freitag das Notebook nach getaner Arbeit im Navigationstisch. Ich löste die Leinen und machte mich auf den Weg zur letzten Zwischenstation Marbella. Bis dahin sind es über 250 Seemeilen. Das ist eigentlich zu viel für ein Wochenende, aber wenn ich es bis dahin schaffe, habe ich eine gute Ausgangsposition, um schon am Freitag darauf durch die Meerenge von Gibraltar zu segeln. Dort weht der Wind oft wochenlang aus Westen. Zusammen mit der immer nach Osten setzenden Strömung ist dann kein Durchkommen. Der langfristige Wetterbericht zeigte an, dass es nächsten Freitag ein gutes Fenster geben könnte, die Meerenge mit Rückenwind von Ost nach West zu passieren. Diese Chance will ich mir nicht entgehen lassen.
Bin ich schon rum?
Wann hat man eigentlich die Weltumrundung vollendet? Muss man seine eigene Kiellinie durchkreuzen oder genügt es, wenn man auf dem gleichen Breitengrad ankommt, auf dem man gestartet ist? Dann wäre ich schon auf dem Weg nach Marbella bei 003° 21′ West am Ziel. Ich entschied mich für beides und legte mir vor Abfahrt eine Flasche Sekt in den Kühlschrank.
Um 01:32 Uhr Ortszeit war es soweit. Die Aurelia überquerte die erste Ziellinie. Ihr Skipper frönte dem Intervallschlaf und stieß erst eine halbe Stunde später darauf an.
Anschließend ging es bei schwachem Wind mit Motorunterstützung weiter nach Marbella.
Marbella
Dort traf ich gegen 17:00 Uhr ein. Von unterwegs hatte ich bereits versucht, einen Platz in der Marina Puerto Banus zu bekommen. Der Platz sollte jedoch 120 EUR pro Nacht kosten. Dazu war ich nicht bereit. Die in der Nähe befindliche Stadtmarina war deutlich preiswerter und reservierte mir ihren letzten freien Platz. Doch als ich eintraf, war niemand zu erreichen, weder per Funk noch per Telefon. Ich fuhr also ohne Ankündigung in die Marina und hoffte auf ein Handzeichen eines Marina-Mitarbeiters. Doch nichts dergleichen passierte. Ein freier Platz war auch nicht zu entdecken. Nach einer halben Stunde des Manövrierens in der engen Marina gab ich auf und machte mich auf den Weg nach Puerto Banus.
Dort angekommen, dämmerte es bereits. Das Marina-Office hatte geschlossen. Ich machte am Anmeldesteg fest und konnte an der Tankstelle zumindest für eine Nacht buchen. Überraschenderweise kostete es statt der per Mail angebotenen 120 EUR nur 70 EUR. Mittlerweile war es fast dunkel. Ich verlegte die Aurelia an ihren zugewiesenen Liegeplatz und fiel ins Bett.
Am nächsten Tag begab ich mich zum Marina-Office und verlängerte meinen Aufenthalt bis zum Freitag. Von den 120 EUR sprach keiner mehr. Es blieb erfreulicherweise auch für die Folgetage bei den 70 EUR.
Auch wenn ich die meiste Zeit am Rechner unter Deck verbrachte, blieb zumindest so viel Zeit, um über das Marina-Leben zu staunen. In keiner meiner bisherigen Aufenthalte war der Schickimicki-Faktor so groß. Nur die Marina Limassol auf Zypern kommt dem recht nahe. Die Stege der Marina Puerto Banus sind umsäumt von einer Flanierstraße, auf der man permanent entweder einem Luxussportwagen oder einem vermeintlichem Super-Model ausweichen muss. Dahinter wechseln sich Edel-Boutiquen mit überteuerten Bars ab. Das alles ist nicht mein Style. Es ist aber interessant bis lustig, dies zu erleben und ein wenig darin einzutauchen.
Mit dem Wochenende endeten nicht nur meine Zeit in Marbella oder die Spanischen Wochen. Es ging auch nicht nur die Zeit im Mittelmeer zu Ende. Nein, mit dem Ablegen von Marbella begann meine allerletzte Etappe der Weltumsegelung. Sie führt mich durch die Meerenge von Gibraltar zurück in den Atlantik. Dort werde ich meine eigene Kiellinie kreuzen und in Portimao die Reise beenden.