In 82 Stunden nach Afrika
Neue Crew
Am 2. November sammelte ich zunächst die neue Crew ein. Dies war ein Akt in 3 Schritten. Zunächst kam Stefan an. Allerdings ohne sein Gepäck. Kurz vor Mitternacht erreichte uns Karsten, dessen ursprünglicher Flug gestrichen wurde.
Die Zeit dazwischen nutzten Stefan und ich für einen ausführlichen Einkauf.
Erst am nächsten Morgen bekam Stefan sein Gepäck. So konnten wir nicht – wie ursprünglich geplant – bereits am Sonntag ablegen. Wir nutzten die Zeit für eine ausführliche Besichtigung des Hafens, Einweisungen für den anstehenden Törn und ein leckeres Abendessen in einem Steakhaus.
Schließlich lag mit knapp 500 Seemeilen der bisher längste Törn vor uns. Mein obligatorischer täglicher Wettercheck prognostizierte uns günstiges Wetter allerdings auch starken Wind nördlich der Bucht von Agadir. Er sollte sogar im Laufe der kommenden Woche immer stärker werden. Also brachen wir noch am Montagnachmittag auf und nahmen Kurs auf die Marokkanische Nordküste. Im Idealfall wollten wir direkt nach Agadir um möglichst viel Zeit auf den Kanaren zu verbringen. Für alle Fälle legte ich mir einige Ausweichhäfen zurecht. Groß ist die Auswahl nicht. Neben Tangier, dicht an der Straße von Gibraltar, gibt es nur noch Rabat. Alle anderen Häfen sind eher nicht für Segler geeignet.
Seekrankheit und Sturm in der ersten Nacht
Bereits kurz nach dem Auslaufen war die Hälfte der Crew Seekrank. Gerade wenn man selten auf See ist kann das schon mal passieren. Daher an dieser Stelle zwei Tipps an alle Gelegenheitssegler: Nehmt eine Reseisetablette rechtzeitig vor dem Ablegen (etwa eine Stunde vorher) und dann wenigstens noch eine Weitere entsprechend der Dosierungsempfehlungen. Danach kann man die Dosis schrittweise reduzieren. Ist es dann doch passiert sollte man entgegen dem eigenen Empfinden trotzdem zeitnah eine Glukose-Elektrolyte-Mischung trinken. Sie gibt einem wieder etwas Kraft, selbst wenn sie nicht lange im Magen bleibt.
Gegen Mitternacht frischte der Wind entgegen der Wetterprognosen immer wieder auf so dass ich gegen Mitternacht Mühe hatte, die Aurelia auf Kurs zu halten. Zwei Stunden später war es dann soweit: Wir machten einen “Sonnenschuss”. So nennt man das Verhalten der Segelyacht, wenn sie trotz entgegengesetzter Ruderstellung ihren Bug in den Wind stellt. In stockdunkler Nacht wieder auf Kurs zu gehen war bei diesem Wetter und schwer einzuschätzender Welle keine gute Idee. Also fuhren wir hart am Wind Richtung Westen. So gewannen wir Höhe und verloren kaum Zeit auf unser Ziel Agadir.
Verlieren wir das Code Zero?
Am nächsten Morgen war das schlechte Wetter verschwunden und wir segelten bei relativ hohen, aber angenehm langen Wellen wieder gen Süden als ich an Backbord unser Code Zero im Wasser hängen sah. Das Code Zero ist ein zusätzliches Segel auf der Aurelia, welches man sehr gut bei wenig Wind und in Kombination mit der Genua für die Passatbeseglung nutzen kann. Diese benötigen wir für die Überquerung des Atlantiks. Der Verlust des Code Zero wäre daher eine Katastrophe. Also Alarmstart aufs Vordeck und Segel reinziehen! Der Sack, in dem sich das Segel befand, hatte sich mit Wasser gefüllt und war viel zu schwer. Also zurück ins Cockpit und einen Wende fahren, um es mit einer hoch liegenden Bordwand erneut zu versuchen. Wieder zu schwer. Also prüfte ich noch einmal meine Safety-Leine und nahm so eine Art Gewichtheberstellung ein und zog mit beiden Händen und all meiner Kraft die bestimmt fast 100 kg wiegende Segeltasche zurück an Bord. Puh, das war gerade noch mal gut gegangen. Wie konnte das passieren? Wir hatten beim letzten Törn die Schoten des Code 0 gleich am Segel und damit in der Segeltasche gelassen. Platz war ja genug. Das zusätzliche Gewicht war im Sturm der ersten Nacht dann wohl zuviel. Wieder einmal wurde meine Bequemlichkeit sofort bestraft.
Die nächsten 2 Tage waren recht angenehme Segeltage mit Sonnenschein und Delfinen.
Ich konnte sogar mal unter Deck gehen und uns Schweinelenden mit Bratkartoffeln zubereiten. Irgendwie hab ich auf See keine Lust zu kochen, aber auf den drei Wochen Atlantiküberquerung können wir ja auch nicht nur von Keksen leben. Mittlerweile war die Crew wieder vollständig einsatzfähig. So konnte ich auch mal etwas länger die Augen zumachen und einige Stunden schlafen.
Surfen Richtung Agadir
Der für den vierten Tag gegen 14:00 Uhr angekündigte Wind mit bis zu 30 Knoten Wind setzte pünktlich ein. Ich hatte mich in den Stunden zuvor so gut es ging erholt, weil ich wusste, dass es nun anstrengend wird. Die Wellen wurden kurzer und höher. Der Wind nahm kontinuierlich zu. Wir refften rechtzeitig die Segel und konnten daher recht gut mit den Wellen nach Süden segeln. Als der Wind noch weiter zunahm und die Wellen nicht mehr nur aus einer Richtung kamen fingen sie an zu brechen und warfen die Aurelia hin und wieder aus der Bahn. Kein angenehmes Segeln! Ich musste permanent Wellen, Wind, Windrichtung, Geschwindigkeit und Segelstellung beobachten und jede Sekunde bereit sein, auf eine drohende Halse und brechende Welle zu reagieren.
Gegen 22:00 Uhr erreichten wir die Bucht von Agadir. In ihr sollte es deutlich weniger Wind und eine flache See geben. Doch wie kommen wir da hinein. Jeder Versuch, quer zu den Wellen zu segeln wurde mit einer Krängung quittiert, in der das Wasser die mittlere Klampe auf der Steuerbordseite überspülte. Wir nutzten also jede “Flaute” unter 26 Knoten und jedes breitere Wellental aus, um uns Meter für Meter an die Bucht heranzuarbeiten. Als wir es dann geschafft hatten, verschwand Welle und in Wind innerhalb weniger Minuten, so dass mir die letzten Stunden wie ein Traum vorkamen. Nach den 8 Stunden am Steuer verschwand ich nun mit einem Kurzen “Gute Nacht, weckt mich vor dem Hafen” im Salon. Keine 2 Minuten später war ich eingeschlafen.
Kurz nach Mitternacht zum 8. November liefen wir dann in den Hafen von Agadir ein. Ein Hafenmitarbeiter half uns beim Anlegen. Meine müden Versuche, ihm zu sagen was ich will, beantwortete er mit einem „Let me, I know what I do.“ Und er hatte recht. Perfekt festgemacht konnten wir ins Bett fallen.
Na ja fast. Erst musste ich noch Crew und Schiff in der Marina, beim Zoll und der Einwanderungsbehörde anmelden. Insgesamt vier Leute waren damit beschäftigt. Bereits nach einer knappen Stunde war alles erledigt. Leider musste ich meine Drohne für die Dauer des Aufenthalts beim Zoll abgeben. Ihre Nutzung ist in Marokko generell verboten.
Statistik
- Dauer: 81h
- Strecke: 484 sm
- Geschwindigkeit 6 kn