Gili Aer und bittere Wahrheiten
Auf das Ersatzteilpaket aus Deutschland wartend, machten wir uns auf den Weg nach Gili Aer, um auf der sehr touristischen Insel ein paar schöne Stunden/Tage zu verbringen. Doch daraus wurde eher nichts. Am Ende des Besuches war mein Kopf voll mit Sorgen über unsere Zukunft.
Anreise
Für die 27 Seemeilen nach Gili Aer haben wir lange 7 Stunden benötigt. Der leichte Wind aus Südosten konnte gerade einmal, die Strömung aus Norden ausgleichen. Also mussten wir den Motor nutzen, um auch über Grund voranzukommen. Auf der Backbordseite begegnete uns ein altes Fass, auf der Steuerbordseite hing ein Gewitter über den Bergen von Lombok fest. Die Übergangssaison ist noch so schwach ausgeprägt. Daher bleiben die Regen-/Gewitterwolken überwiegend an den größeren Inseln hängen. Das ist einerseits beruhigend, andererseits auch nicht. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir nach Norden kommen. Genügend Zeit für die Gewitterwolken, an Stärke zu gewinnen und dann auch die Inseln zu verlassen.
Wetterleuchten
Nach einem kurzen Besuch der Insel genossen wir das atemberaubenden Panorama des Sonnenuntergangs zwischen den Vulkanen von Lombok und Bali. Er wurde fast nahtlos durch intensives Wetterleuchten abgelöst. Die Blitze blieben jedoch weit von uns entfernt.
Mit einem Blick auf das Ufer konnte man das bunte Nachtleben förmlich spüren, welches hier vor Covid pulsierte. Die Gegenwart jedoch sieht anders aus, wie ein Rundgang am folgenden Tag zeigen würde.
Inselrundgang
Den nächsten Tag nutzen wir für individuelle Wanderungen. Ich machte mich am frühen Nachmittag auf den etwa 5 km langen Weg rund um die Insel. Eines fiel sofort auf. Es fehlen die Touristen. Ich bin an etwa 100 Bars und Restaurants vorbeigelaufen. Vielleicht 10 davon hatten geöffnet. In Summe konnte ich 4 Gäste ausmachen. Das geht nun seit fast 2 Jahren so. Auf Dauer kann das diese Insel nicht verkraften.
Darüber hinaus ist Gili Aer ein wenig in die Jahre gekommen. Um neue Gäste anzulocken, müssten die Betreiber investieren. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt? Wenn man jetzt investiert und eine neue Virusvariante die Pandemie in die Verlängerung schickt, geht so vielleicht auch noch die letzte ersparte Rupie den Bach herunter. Hinzu kommt, dass wir auf Grund der immer prekäreren Umweltsituation zu einem nachhaltigerem Tourismus finden müssen.
Vermutlich wird es für die Insel nie wieder so werden wie früher. Die Bewohner werden sich wohl in sehr kurzer Zeit ziemlich radikal umstellen müssen. Doch wovon sollen sie leben? Die Fischerei wird es jedenfalls nicht sein. Sie liegt bereits am Boden. Schaut man sich die Fänge kleiner Fische an, die man auf den Märkten findet, scheint es bereits jetzt mehr Fischer als ausgewachsene Fische zu geben.
Immer nachdenklicher werdend wanderte ich weiter zur Nordseite der Insel. Dort traf ich einen Müller, der aus Kokosnüssen Öl herstellt. Er bot mir eine Kokosnuss einschließlich der Demonstration der Ölherstellung für 20.000 Rupiah (1,24 EUR) an. Es ist ja nicht so, dass ich das Geld nicht gern dafür ausgebe, aber wenn ich nicht handle, ärgert er sich, zu wenig verlangt zu haben. Also wollte ich gerade anfangen, ihn um einen symbolischen Beitrag herunterzuhandeln, da hatte er den Preis auch schon halbiert.
Also kaufte ich ihm 2 Kokosnüsse ab. Im Nu zauberte er aus einem Teil der Schale zwei Henkel und band sie zusammen, damit ich sie leichter tragen kann. Anschließend fiel er auf die Knie und dankte Allah für den ersten Kunden des Tages. Show war das sicherlich nicht. Nach Fotos war ihm auch nicht zumute.
Auf dem weiteren Weg fand ich dann doch noch zwei Krisengewinner. Ein Kater genoss sichtlich die Ruhe und die alleinige Inanspruchnahme der Hotelanlage. Wenig später begegnete mir eine Kuh, die auf der Strandpromenade entlang flanierte.
Ein weiteres interessantes Detail: Hier auf der Insel gibt es eine Mülltrennung. Zumindest auf der Seite des Weges, auf der sich die Hotels und Pensionen befinden. Wendet man den Blick auf die andere Seite, liegt alles auf dem Boden und wird mit der nächsten Flut ins Meer geschwemmt, wahlweise auch wieder zurück an Land. Es gibt ja genug davon.
Kurzum, der Besuch in Gili Aer hat mich wieder einmal sehr nachdenklich gestimmt. Es mag nur eine kleine Insel sein. Wer aber meine Beiträge aufmerksam verfolgt hat, wird feststellen, dass die Probleme weltweit zu beobachten sind.
Wir sind gerade dabei, das Plankton durch Plastikmüll zu ersetzen. Selbst in der Arktis findet man in einem Liter Meerwasser bis zu 12.000 (!) Mikroplastikteilchen (Quelle). Die Biodiversität nimmt drastisch ab. In Deutschland gibt es ca. 80% weniger Insekten als vor 25 Jahren. (Quelle). Weltweit haben wir die wilden Säugetiere bereits zu 83% verdrängt (Quelle). Und damit haben wir noch nicht einmal über die Überfischung, Korallensterben, CO2- und Meeresanstieg sowie zig weitere Umweltkatastrophen gesprochen.
Wir alle sind, einschließlich der ärmeren Länder, massiv von unserer überbordenden Sucht nach Wachstum abhängig geworden. Diese Art des Wachstums muss ein Ende haben und zwar besser gestern als morgen. Und mit “gestern” meine ich die 80er!
Nicht die Produktion von Dingen, die für ein paar Monate genutzt und anschließend Jahrzehnte als Müll um die Welt geistern, muss wachsen, sondern das Gleichgewicht zwischen Menschen, Erde, Flora und Fauna. Davon sind wir – mich eingeschlossen – derzeit so weit weg, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass wir noch die Kurve kriegen.
Selbst mit den fundiertesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und konkreten Maßnahmeempfehlungen erreichen wir nicht genug Menschen. Mit viel Engagement ist es vielleicht ein Drittel. Ein weiteres Drittel folgt vielleicht konkreten Regeln, Gesetzen, Verboten und Geboten. Das letzte Drittel erreichen wir meines Erachtens nur mit indirekten Maßnahmen, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Wir müssen unsere Ethik deutlich weiterentwickeln und dieses Wissen vermitteln. Das dauert mindestens eine Generation. Soviel Zeit haben wir nicht. Vielleicht benötigen wir eine neue Religion, um eine erweiterte Ethik zu transportieren, mindestens aber eine massive Erweiterung der bestehenden Weltreligionen. Sie müssen Pflanzen, Tiere und unsere Erde in ihr Weltbild einbeziehen.
Was also tun? Aufgeben und ignorieren oder anfangen, einen anderen Weg einzuschlagen?