Pazifiküberquerung – 5. Woche
Nur noch 700 Seemeilen liegen vor uns. Das sollte in einer Woche zu schaffen sein! Die Vorfreude auf das Land wird von Stunde zu Stunde größer. Wir können es kaum noch erwarten. Doch noch hält der Pazifik ein paar Überraschungen für uns bereit.
11.03.21 Kontrolliertes Treiben
Im Morgengrauen gelang Sheila ein weiteres beeindruckendes Foto vom Nachthimmel. Unser Mond und drei Planeten befinden sich fast in einer Reihe. Der fehlende Seegang hatte seinen Anteil daran. Lediglich 71 Seemeilen konnten wir in den letzten 24 Stunden zurücklegen. Es waren schon einmal doppelt so viele. Kann man das noch Segeln nennen oder ist es nur noch ein kontrolliertes Treiben?
Wir nutzten die ruhige See für eine weitere Reinigung des Vorschiffs. Dabei entdeckte Sheila den wohl kleinsten fliegenden Fisch, der je auf der Aurelia landete.
Der Wind flaute immer mehr ab. Mittlerweile hatten wir nur noch etwa 6 Knoten Ostwind. Damit kann man weder das Groß noch das Code 0 füllen. Lediglich die flach getrimmte und ausgebaumte Genua hielt die Aurelia bei 2 Knoten Fahrt auf Kurs. Die Crew ließ jedoch noch keine Ungeduld erkennen. Sheila strickte ihr Oberteil fertig. Ich durfte bei den letzten Arbeitsschritten assistieren. Maya nutzte die ruhige See zur Vervollständigung ihrer Tagebucheinträge.
Meine Geduld war nicht so groß. Ich habe Pazifik-Videos gesehen, in denen Segler unter Tränen berichten, dass sie seit Wochen nicht vorwärts kommen. Daher nahm ich ein Blatt zur Hand und berechnete erneut unseren verbleibenden Dieselvorrat. Noch reicht er nicht aus, um bis nach Nuku Hiva zu kommen, aber ein paar Motorstunden können wir investieren, um wenigstens ein bisschen voran zu kommen.
12.03.21 Fischfang
In der Nacht überschritten wir den 130. Längengrad. Damit ist die Zeit reif für die letzte Zeitumstellung. Wir legen gleich eine weitere halbe Stunde drauf und haben ab sofort die Marquesas-Zeit UTC – 9:30 h.
Der morgendliche Logbucheintrag bringt die bittere Wahrheit ans Licht. Lediglich 62 Meilen haben wir zurückgelegt. Kehrt der Wind nicht zurück, benötigen wir noch weitere 10 Tage. Daran ändert auch der nächste schöne Sonnenaufgang nichts.
Am Vormittag konnten wir für ein paar Stunden das Code 0 setzten, dann flaute der Wind erneut ab. Letztlich gab ich das Segeln auf und investierte weitere acht der verbleibenden Motorstunden. Die nebenbei anfallende Wärme- und Generator-Energie füllte nicht nur die Akkus, sondern auch den Warmwasserbeuler und den Süßwassertank bis zur Oberkante. Sheila zauberte aus der überschüssigen Energie eine große Pizza.
Am frühen Nachmittag philosophierten wir wieder einmal über unsere Anglerqualitäten. Kurz darauf fing die Steuerbordleine an zu wackeln. Als ich sie reinzog, konnte ich sehen, dass etwas am Haken war. Gleichzeitig war ich verblüfft, wie leicht sie einzuholen war. Erst als der Fisch die Pütz sah, fing er an zu zappeln. Zu spät! Er hing bereits in der Luft. Wenige Sekunden später war der Gelbflossen-Tunfisch an Bord. Die spätere Online-Recherche ergab, dass dies wohl ein noch sehr junger Fisch gewesen sein muss. Ich hätte lieber einen älteren gefangen, der schon seinen Beitrag zum Erhalt der Population geleistet hat. Aber auf See lässt sich das nicht regeln. Es gibt meines Wissens noch keine Köder mit Altersfreigabe.
Sheila war unserer Fischereiexperte. Sie tötete und zerlegte ihn fachgerecht. Natürlich gab es zwischendurch ein paar stolze Fischfangfotos. Interessant, wie man ihn mit einer kleinen Änderung der Perspektive locker doppelt so groß aussehen lassen kann. Die nächsten Instagram-Fischfang-Fotos werde ich nun mit kritischeren Augen betrachten.
Der Fang kam zum richtigen Zeitpunkt. Unsere Frische-Vorräte gehen langsam zur Neige. Da kam uns ein Sashimi- und Fischfilet-Dinner gerade recht.
13.03.21 Waschtag
Acht Motorstunden investierten wir in den letzten 24h. Trotzdem brachte die morgentliche Messung einen Fortschritt von nur 82 sm zu Tage. Zu wenig für die verbleibende Strecke. Daher versuchte ich gleich nach dem Logbucheintrag, das Code 0 zu setzen. Die See war so flach, dass es trotz des geringen Windes klappen könnte. Und siehe da, es funktionierte. Mit nur 8 Knoten wahrem Wind aus Achtern erreichten wir immerhin 4 Knoten Fahrt.
Das heiße Wasser aus der gestrigen Motorabwärme und die Sonnenenergie von heute nutze ich für eine ausgiebige Waschaktion. Die Reeling war beidseitig vom Bug bis zum Heck belegt. Das sollte einige Tage über die Ankunft in den Marquesas hinausreichen.
Dreißig Tage sind wir nun schon auf See. 500 Seemeilen haben wir noch vor uns. Das Ende ist in Sicht. Langsam wird es aber auch wirklich Zeit!
14.3.21 Wadenbiss
Der Morgen begann mit einem lauten Schrei. Dieses Mal aus meiner Kehle. Ich stand im Cockpit und unterhielt mich mit Maya. Irgendetwas krabbelte an meiner Wade. Zunächst ignorierte ich es. Doch dann biss es zu und ließ mich aufschreien. Es dauerte Sekunden, bis ich begriff, dass es nur ein fester Griff aus dem Cockpitfenster der gerade erwachten Sheila war. “Ai jai jai jai”, und der Tag begann wieder mit “Karneval in Rio”. Sheila konnte sich vor Lachen kaum noch halten.
Der Ernst des Tages kam mit dem 8:00 Uhr-Logbucheintrag zurück. Der nördlichere Kurs scheint sich auszuzahlen. Wir sind zwar mit 102 sm/Tag nicht sehr schnell, können aber größtenteils ohne Motor vorankommen.
Der Wetterbericht sagt drei windigere Tage voraus, bevor es eine zweite, ausgedehntere Flaute gibt. Wir gehen also wieder auf Kurs Nuku Hiva. In den nächsten 3 Tagen müssen wir so viele Meilen wie möglich segeln. Danach hilft uns nur noch der Motor.
Am Nachmittag hatten wir genügend Zeit, unseren Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen 😉
15.03.21 Gleitflugsonnenbrille
In der Nacht nahm der Wind wie erwartet zu. Wir holten das Code 0 herein und setzten das Hauptsegel. Nachdem wir uns den farblich abwechslungsreichsten Sonnenaufgang der Pazifiküberquerung angeschaut haben, ist es Zeit für den morgentlichen Logbucheintrag.
In den letzten 24 Stunden haben wir über 120 Seemeilen absolviert. Wir liegen also bereits am Morgen unter 300 sm Reststrecke. Es wird Zeit, die Health-Deklaration abzusenden zu lassen. Ohne sie gibt es keinen Eintritt. Ich informiere Heiko, damit er die heute Abend von Land absendet. Wie schon beschrieben, ist die Satellitenverbindung dafür viel zu langsam.
Am Nachmittag kürzte ich mit Sheila erneut das Code 0 Fall. Es war durch den intensiven Einsatz von gestern wieder so weit aufgerieben, dass es gekürzt werden musste. Dabei streifte das Fall an meinem Kopf entlang und zog mir meine Gleitsichtsonnenbrille von der Nase. Eh ich nach ihr greifen konnte, sah ich sie im hohen Bogen über die Reeling fliegen und im Meer verschwinden. Die nächsten Sekunden saß ich sprachlos da und realisierte wie in Zeitlupe, dass ich ab sofort entscheiden muss, ob ich meine Augen schützen oder etwas auf dem Navigationsgerät lesen möchte. Beides geht ab sofort nicht mehr und das wird sich womöglich auch die nächsten 15.000 Seemeilen nicht ändern. Das ist großer Mist. Ich habe zwar ein Brillenband dabei, benutzte es aber nicht. Die bisherigen 12.000 Seemeilen schienen ausreichend Beweis dafür, dass man es nicht braucht. Falsch gedacht! Über dieses Missgeschick werde ich mich noch lange ärgern.
16.03.21 Pas plus de plastique
Auch an diesem Morgen liegt das Etmal wieder über 100 Seemeilen. Weniger als 200 sm trennen uns noch von Nuku Hiva. Von mir aus können nun die Segel reißen, der Mast umfallen oder der Wind ausbleiben. Wir werden ankommen, notfalls nur mit dem Motor.
Nach dem Logbucheintrag kontrolliere ich via Satellit, ob die Health-Deklaration irgendwelche Reaktionen hervorgerufen hat. Hat sie: “Le navire a son autorisation d’entrée accordé.” oder auf Deutsch: “Dem Schiff wird die Einreisegenehmigung erteilt.”. Es ist ja nicht so, dass ich mich jetzt noch davon abhalten lassen würde, in Französisch Polynesien einzureisen, doch nach all den Irrungen und Wirrungen der vergangenen 12 Monate ist es eine großartiges Gefühl, diesen Satz zu lesen.
Die Vorfreude auf das Land wird von Stunde zu Stunde größer. Es wird auch Zeit. Die Frische-Vorräte gehen langsam zur Neige. Wir haben noch eine Zwiebel und zwei Büchsen Bier. Das Obst ging bereits vor einigen Tagen zur Neige und wurde durch Trockenfrüchte und Büchsenobst ersetzt.
Gegen 11:00 Uhr flaute der Wind wie erwartet ab. Mit nur einem Knoten können wir gar nichts anfangen. Segel rein, Motor an! Das sollte sich für den Rest des Tages nicht mehr ändern.
Es wurde Zeit, die Polynesische Flagge zu malen. In Costa Rica konnten wir keine bekommen. Also muss eine unserer Blanco-Fahnen her. Das Ergebnis ist beeindruckend detailgenau:
Außerdem vollendete Sheila ihre Arbeit an den Malbüchern für polynesische Kinder. Wir hatten in Costa Rica bereits mit Maya überlegt, was wir nach Französisch Polynesien mitbringen können. Nach allem was wir gelesen haben, gibt es dort eine sehr gastfreundliche Kultur, in der Geschenke eine große Rolle spielen. Sheila kaufte kurzerhand Papier und Buntstifte. Daraus bastelte sie während der Pazifiküberquerung 30 Malbücher mit der Aurelia auf dem Titelblatt und einer Kampfansage gegen den Plastikmüll auf der Rückseite: “pas plus de plastique”.
Nachdem wir den voraussichtlich letzten Sonnenuntergang ohne Land genossen, wurde die letzte Zwiebel für unser Abendmahl geopfert.
17.03.21 Land in Sicht
Um 06:04 Uhr unterschritten wir die Restdistanz von 100 Seemeilen. Maya schlief noch fest in ihrer Koje. So konnten wir den Moment nur zu zweit dokumentieren.
In den 8:00 Uhr Logbucheintrag konnte ich nur 82 Seemeilen als Etmal eintragen. Wir hatten in der Nacht den Motor ausgestellt und waren allein mit der Genua langsam gen Westen gesegelt. Kurz danach frischte der Wind überraschend gerade so weit auf, dass wir auch noch das Code 0 dazu nehmen konnten und uns mit 4,6 Knoten dem Land näherten.
Gebannt schauten wir nach Westnordwest. Dort sollte jeden Moment Ua-Huka auftauchen. Die Insel hat über 500 Einwohner. Sie ist allerdings nicht als Einreisehafen ausgewiesen. Wir dürfen erst in Nuku Hiva an Land.
Irgendwann schweifte mein Blick nach Süden. Dort erblickte ich unverkennbar Land. Wie war das möglich? Ein Blick auf den Plotter brachte die Erklärung. Wir segeln zwar sehr dicht an Ua Huka vorbei, doch zuvor ist der Abstand zur nicht einmal 2 km breiten Insel Fatu Huku kürzer. Dank der klaren Sicht konnten wir sie in fast 30 Seemeilen Entfernung deutlich ausmachen. Wir haben es (so gut wie) geschafft !!!
Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich dabei fühlt. Zunächst ist da die unbändige Vorfreude auf die Ankunft und die Dankbarkeit, wieder Land sehen zu können. Bei mir kommt mit der Verantwortung als Skipper und Eigner auch noch die unendliche Erleichterung hinzu, dass alles gut gegangen ist. Es war die längste Strecke ohne Land und die wird es wohl auch bleiben. Viel hätte schief gehen können. Ich hatte nie wirkliche Angst davor, aber ich war permanent damit beschäftigt, mögliche Risiken zu identifizieren, abzuwägen und zu verringern. Das hat uns letztendlich sicher über den Pazifik gebracht. All das fiel nun von mir ab. Nun habe ich eher das Gefühl, dass wir den Rest notfalls auch schwimmen können.
Einige Stunden später zeigte uns Ua Huka im Gegenlicht der Abendsonne seine Konturen. 3800 Seemeilen haben wir nun zurückgelegt. Die verbleibenden 50 werden wir größtenteils in der Nacht abspulen. Dann fällt nach ziemlich genau 5 Wochen der Anker und wir betreten Land. Wenn das keinen separaten Logbucheintrag wert ist, was dann?
2 KOMMENTARE
Hallo Jörg Danke für die interessanten Bericht. Mich würde interessieren wie ihr die essenslogistik für die lange Zeit vorbereitet habt. Viele Grüße Michael
Ich habe mir ein Excel-Sheet erstellt, in dem ich alle Lebensmittel mit ihren Kalorien erfasse, die ich für längere Zeit unter den Bodenplatten des Salons verstaue. So habe ich einen guten Überblick über die Langzeitversorgung. Allerdings muss man regelmäßig eine Inventur durchführen, die wenig Spaß macht. Parallel dazu planen wir jeden Törn nach Malzeiten und kaufen entsprechend ein. Die Langzeitvorräte tauschen wir regelmäßig durch. Ich esse noch heute die Spaghetti aus dem Spremberger Kaufland und fülle polynesische Nudeln wieder auf. Für die Nahrungsmittel der nächsten 1-2 Wochen nutzen wir einen verhältnismäßig großen Kühlschrank, Schränke und Stauraum unter der Saloncouch. Frisches Obst hängt im Netz. Für das Gemüse haben wir im Laufe der Zeit herausgefunden, dass der beste Platz neben neben dem Warmwasserboiler ist. Dort liegt die Temperatur immer ein klein wenig höher. Dadurch gibt es keine Kondensationsfeuchtigkeit und damit keine faulenden Kartoffeln/Zwiebeln. Der Rest der Logistik ist Handarbeit 🙂