Pazifiküberquerung – 4. Woche
Nun geht es in die 4. Woche der Pazifiküberquerung. Hätten wir die gleiche Durschnittsgeschwindigkeit wie auf dem Atlantik, würden wir an ihrem Ende in den Marquesas ankommen. Das ist jedoch nicht mehr realistisch. Im Gegenteil, wie die folgenden Tage zeigen sollten.
04.03.21 Schmetterling
In der Nacht haben wir unseren individuellen Port-Nemo passiert. Er liegt knapp 2000 Meilen nördlich des echten. Mit ca. 2200 km ist nun Pitcairn die uns am nächsten gelegene Insel. Wir bleiben trotzdem auf Kurs Nuku Hiva. Mit etwa 2700 km ist es auch nicht so viel weiter.
Bisher kam der Wind aus Südost bis Südsüdost. Das ermöglichte eine Fahrt von ca. 6 Knoten. Nun kam der er wie gewünscht aus Osten. Zwar ist der Seegang für Schiff und Crew nun angenehmer, doch die Geschwindigkeit sinkt auf gerade mal 4,5 Knoten. Mit dem Wind von achtern können wir keinen Tragflächeneffekt mehr nutzen. Man sollte halt aufpassen, was man sich wünscht.
Beim Umbau des Spibaums entdeckte ich eine Scheuerstelle an der Genua-Schot. Sie ist erst 4 Monate alt. Es muss ein Problem mit der Umlenkrolle des Holepunktes gegeben haben. Der Schaden war gerade noch gering genug, um die Schot nicht kürzen zu müssen. Wir wechselten sofort die Enden. Nun liegt die beschädigte Stelle jenseits der Winch im Cockpit. Hier hat sie nichts auszuhalten. Leider habe ich das nicht eher auf einem meiner täglichen Rundgänge gesehen. Die Checkliste wird also wieder ein Stückchen länger.
Um den weiteren Materialverschleiß gering zu halten, waren heute einige Maßnahmen fällig: Der Baumniederholer für den Spibaum wurde anbebracht. Die Genua-Schot wurde durch eine 2. Schot an der Hecklampe entlastet. Groß und Genua wurden trotz des schwachen Windes flacher getrimmt. Dadurch sind wir zwar etwas langsamer, minimieren aber das Schlagen der Segel durch den Seegang bei zu geringem Wind.
05.03.21 Karneval in Rio
Das geänderte Setup hat sich bewährt. Wir konnten die ganze Nacht direkten Kurs auf Nuku Hiva nehmen, ohne die Segelstellung zu verändern. Die Nacht war so ruhig, dass es mir nun auch gelang, eine Aufmerksamkeitslücke während der Wache meiner Crew zu dokumentieren :-). Zu Mayas Verteidigung sei gesagt, dass das die absolute Ausnahme war.
Nach dem morgentlichen Logbucheintrag holte ich erneut den Wetterbericht ab. Sollte er korrekt sein, werden wir in einer knappen Woche gar keinen Wind mehr haben, wenn wir südlich von 8° Süd bleiben. Nun hat sich der Wetterbericht bisher als nicht sehr zuverlässig erwiesen. Sollen wir ihm trauen? Dann hieße es: Zurück nach Norden! Auf der verbleibenden Strecke wäre der Winkel zum optimalen Kurs noch recht spitz und somit kein großer Umweg. Die Faustregel lautet jedoch: Je südlicher, desto stabiler die Windverhältnisse.
Beim Grübeln über dieses Dilemma rutschte mir wieder ein „Ai jai jai jai“ heraus. Prompt stimmte die Crew mit ein und sang „Karneval in Rio“. Im Original heißt das spanische Lied „Cielito lindo“ und hat schon 100 Jahre auf dem Buckel. In meiner Musiksammlung befindet sich jedoch nur die Heino-Version. Da uns dieser Spruch schon öfter bei kleinen Missgeschicken herausgerutscht ist und jedes Mal einer von uns das Lied anstimmt, ist es mittlerweile unsere Hymne der Pazifiküberquerung geworden. Heino – auf meinem Boot! Verrückt!
Der Song half mir, die Wettersorgen für heute zu vergessen. Der Rest des Tages glich im Wesentlichen den vorherigen. Wir lasen in unseren Büchern, lernten etwas französisch, genossen Sonnenauf- und Untergang sowie das abwechslungsreiche Essen. Auch 5 Wochen nach dem letzten Einkauf gibt es immer noch frisches Obst und Gemüse und jeden Tag eine neue Zubereitungsvariante. Hut ab! Nur mit dem Fisch will es einfach nicht klappen. Jeden Tag hängen wir die Köder raus – vergeblich.
06.03.21 Angriff der fliegenden Fische
Der Tag begann für mich unerwartet früh. Ich war nach meiner Hundewache gerade so richtig tief eingeschlafen, als mich Mayas ängstliche Rufe weckten. Ein fliegender Fisch war schnurstracks durch die Seitenluke geflogen und in ihrer Koje gelandet. Mehr automatisch als bewusst schnappte ich mir meine Stirnlampe, fand das Ungeheuer auf dem Boden, packte es am Schwanz und beförderte es zurück ins Meer. Nachdem wir alle drei unseren Schreck in ein Lachen transformiert hatten, ging es für mich zurück auf die Couch. Leider hat in solchen Situationen nie jemand die Kamera in der Hand. So bleibt das Ereignis optisch undokumentiert. Statt dessen bannte Maya wenige Stunden später die am Horizont erscheinende Sonne auf den Speicherchip ihres Smartphones.
Gegen 9:00 Uhr hatte der Wind so weit nachgelassen, dass wir mit unserem Schmetterling nicht mehr schnell genug vorwärts kamen. Das Code 0 muss wieder ran. Wir haben zwar immer noch das Problem mit dem Verschleiß des Fall, aber noch können wir es regelmäßig kürzen.
Zum Anschlagen des Code 0 mussten wir zunächst die Genua mit all ihren Leinen einrollen. Dabei entdeckte ich eine neue Verschleißstelle am Palstek der backbordseitigen Genuaschot. Der Knoten hatte sich vor Tagen unter dem der Steuerbordschot verklemmt und dabei aufgerieben. Also drehten wir auch diese Schot und ich speicherte einen weiteren Punkt auf meiner imaginären Kontrollgangcheckliste ab.
Mit dem Code 0 ging es nun etwas schneller voran. Da die Bedingungen der letzten Stunden nahezu konstant waren, lässt sich folgende Faustformel für die Segelstellungen bei achterlichen Wind aufstellen: Wenn wir allein mit der ausgebaumten Genua etwa 3,5 kn erreichen, sind es mit dem Groß als Schmetterling etwa 4 kn und mit dem Code 0 als Passatbesegelung etwa 4,5 kn. Eine Verdopplung bzw. Verdreifachung der Segelfläche führt also nur zu etwa 15% bzw. 30% mehr Geschwindigkeit. Da hätte ich mehr erwartet.
Sieben Stunden später prüften wir das Fall des Code 0. Sehr gut sah es nicht mehr aus. Es hieß also wieder: Kürzen! Die schnelle Lösung aus der Shelter Bay Marina hat leider nicht geholfen. Da ich das Fall nun sowieso andauernd kürzen muss, kann ich auch noch etwas anderes ausprobieren. Ich verpasste ihm eine ordentliche Portion biologisch abbaubaren Fetts. Vielleicht hilft es, die Reibung zu verringern. Außerdem verlängerte ich die Leine, die ich zwischen Fall und Code 0 platziert habe. So liegt die Verschleißstelle näher am Ende der Fall. Es muss nicht mehr so viel abgeschnitten werden.
Später zeigte sich, dass das Fett eher die Tragkraft des Falls verringert als dass es hilft. Die Verlängerung des Zwischenstücks jedoch hatte zur Folge, dass sich das Fall-Ende nun unmittelbar am Block nahe der Mastspitze befindet. Der Verschleiß scheint nun deutlich geringer. Kontrollieren muss man es trotzdem 2x täglich. Gegen Abend bargen wir es und segelten allein mit der Genua durch die Nacht.
07.03.21 Dreistellig
Trotz Code 0 haben wir gerade einmal 100 Seemeilen geschafft. Ursprünglich hoffte ich auf eine Ankunft am 13.3. Wenn es so weitergeht, wird es wohl der 17.3. oder gar der 18.3. werden.
Aurelia scheint ein beliebtes Ziel der Pazifik-Fauna zu werden. In der Nacht landete eine Möve direkt auf Sheilas Schoß. Das muss ein schöner Schreck gewesen sein. Ich schlief jedoch tief und bekam nichts davon mit.
Mit dem Fischfang klappt es nach wie vor nicht. Mittlerweile haben die Köder fast 3000 sm im Wasser verbracht. Was machen wir falsch?
Den ganzen Tag fieberten wir unserem 999-Meilenstein entgegen. Am späten Abend sollte er fallen. Vorher wird keiner einschlafen. Also gab es heute wieder einen Kinofilm und eine auf 3 Stunden verkürzte Wache.
21:25 Uhr war es dann endlich soweit: Die Restdistanz fiel unter 1000 Seemeilen. Wir sind dreistellig! Ein tolles Gefühl, diese Vorfreude auf Land. Das Ziel fühlt sich gleich viel näher an. Genau genommen ist es das auch, denn fast gleichzeitig ist nun auch die östlichste Marquesas-Insel das Land, das der Aurelia am nächsten ist. Neben der bereits ausgemessenen Pitcairn Insel entdeckten wir auch noch ein Atoll des Tuamoto-Archipels, dass nahezu gleich weit entfernt ist.
In der Nacht flaute der Wind weiter ab. Wir kamen nur noch mit 3,5 Knoten voran. Extrem müde wollte ich gerade meinem Intervall-Schlaf frönen, da drehte der Wind so weit nach Nordost, dass eine Halse notwendig wurde. Genervt löste ich im Halbschlaf den Bullenstander, wechselte vor dem Wind den Bug und befestigte ihn wieder auf der gegenüberliegenden Mittelklampe. Jetzt segeln wir nicht mehr zu weit nach Süden sondern etwas zu weit nach Norden. Für die Nacht ist das OK, aber sobald der Morgen graut, werden wir wieder auf Schmetterlingsbesegelung wechseln, um die Marquesas direkt ins Visier zu nehmen.
08.03.21 Motivationsschub
Die nun dreistellige Restmeilenzahl gab uns einen gehörigen Motivationsschub. Zunächst wechselte ich mit den ersten Sonnenstrahlen die Genua nach Backbord. So konnten wir wieder auf Kurs gehen. Der leicht aufgefrischte Wind bescherte uns Geschwindigkeiten zwischen 5 und 6 Knoten. So kann es gern weitergehen.
Tagsüber sorgten wir für Klarschiff, buken zwei Brote und erzeugten reichlich Trinkwasser. Am Ende des Tages war trotz guten Wetters der Akku nur halb gefüllt und reichte nicht zum Kochen. Kein Problem, wir haben ausreichend frisches Brot. Die verbleibende Zeit des Tages nutzten wir zum Stricken, Lesen und Hören.
Mit abnehmender Entfernung zum Ziel nimmt unsere Laune immer mehr zu. Die kleinen Abweichungen vom Alltag nehmen wir gern auf, um daraus etwas Kurzweil zu generieren. So nutzten wir die stärker werdende Sonne zu einem abendlichen Bräunungscontest. Während ich in der A-Note noch punkten konnte, musste ich mich in der ästhetischen orientierten B-Note deutlich geschlagen geben. 🙂
09.03.21 Kontakt zu DPAM
Heute Morgen habe ich die DPAM, die zuständige Stelle für den Seeverkehr rund um Französisch Polynesien, über unseren neuen voraussichtlichen Ankunftstermin 17.03.2021 informiert. Ebenso, das wir alle gesund und munter sind. Die zugehörigen Dokumente wird Heiko, ein langjähriger Freund, 48 Stunden vor Ankunft an die gleiche Behörde weiterleiten. Die beiden Dokumente sind etwa 2 MB groß. Dafür ist das Satellitenmodem nicht geschaffen. Die Übertragung ist so langsam, dass man dafür etwa 3 Stunden benötigen würde. Umgerechnet wären das über 100 EUR Online-Gebühren.
In den letzten 24 Stunden haben wir die Entfernung zum Ziel um 130 Seemeilen verkürzen können. Das ist ein sehr guter Wert bei diesem Wind. Der heute ebenfalls neu abgerufene Wetterbericht sagt allerdings nichts Gutes voraus. Er wird schwächer werden und letztendlich auf unserer Breite und südlich davon soweit abflauen, dass wir nicht mehr segeln können. Weiter nördlich, oberhalb von 8° Süd weht er etwas stärker, so dass man eventuell ohne Motor vorankommen könnte. Wir werden also die mühsam erkämpften 8 1/2 ° Süd aufgeben.
Wir sind jetzt fast 4 Wochen auf See und bewegen uns nicht sehr viel. Die Crew nutzte bisher den Niedergang für einige Fitness-Übungen. Doch seit kurzem quittiert dies die Treppe mit einem lauten Knarzen. Daher bin ich nun auf der Suche nach Alternativen und funktioniere den Cockpit-Tisch zum Fitnessgerät um:
Am späten Nachmittag mache ich wieder meinen Rundgang. Maya schoss dabei das – wie ich finde – schönste Segelfoto dieser Überfahrt:
10.03.21 Verwirrende E-Mails
Ich bin mir immer noch unsicher, ob wir wirklich wieder zurück auf den 7. Breitengrad segeln sollten. Außerdem wollte ich wissen, ob DPAM eventuell eine Antwort zu meinem neuen ETA gesendet hat. Also investierte ich erneut ein paar Satelliten-Minuten für das Wetterupdate und den E-Mail-Download. Es kamen drei verwirrende Nachrichten von DPAM an. Nach einigem Grübeln wurde klar, dass sie unsere Einreisegenehmigung übersehen hatten. Zwei der Mails waren also überflüssig und dank der Unsitte von Bildern in der E-Mail-Signatur kostete mich diese Verwirrung eine viertel Stunde der kostbaren Sattelitenzeit. Der Wetterbericht bestätigte noch einmal die drohende Flaute. Also behielten wir den leicht nördlichen Westkurs bei.
Der Wind hatte inzwischen so weit abgenommen, dass die Segel wieder anfingen, hin- und herzuschlagen. Das Code 0 fiel immer öfter ein, dass ich befürchtete, es könnte sich an der Saling beschädigen. Das war mir bereits in der Biskaya passiert, als ich mit Thomas auf dem Weg nach A Coruna war. Am liebsten würde ich es bergen. Aber dann kommen wir gar nicht mehr voran. Also nutzten wir den Großbaum zum Ausbaumen des Code 0. Es ist nicht ganz ungefährlich, ihn so weit aufzufieren. Wenn er durch eine Welle im falschen Moment auf die andere Seite schlägt, kann die Wucht durchaus Schaden am Rigg verursachen. Um das zu vermeiden, brachte ich den Bullenstander nun auf der Vorschiffklampe an.
Abgesehen vom schwachen Wind bescherte uns der Tag viel Sonne und Wärme. Gegen Abend bargen wir das Code 0, kürzten erneut die beschädigte Fall und träumten bei einem wunderschönen Sonnenuntergang vom nahenden Land.
Damit sind wir nun schon 4 Wochen auf See und haben 3149 Seemeilen hinter uns gebracht. Die verbleibenden 700 werden wir auch noch schafften.