Durch den Golf von Aden
Am 6. Januar 2022 nahmen wir die nächste größere Strecke meiner Weltumsegelung in Angriff. Von der nördlichsten Insel der Malediven, Uligan, geht es durch das arabische Meer zum Golf von Aden. Dort passieren wir die 500 Seemeilen lange Verkehrstrennungszone der HRA (Hochrisikogebiet). Unser Ziel ist Djibuti, einer der kleinsten Staaten Afrikas.
Abschied von den Delfinen
Unmittelbar vor dem Ablegen besuchten uns noch einmal die Delfine. Ich wusste gar nicht, in welche Richtung ich die Kamera halten sollte. Rund um die Aurelia waberte das Wasser. Überall drangen Flossen an die Oberfläche. Hier und da drehte ein Delfin Pirouetten in der Luft. Was für ein Abschied!
Erste Meilen
Mit der Pegasus und der Wind Hog sind wir fast schon eine kleine Flotte, die nach Djibuti aufbricht. Das hat klare Vorteile: Wir können uns über das Wetter, die Route, die Sicherheitsmaßnahmen und die Formalitäten austauschen und so voneinander lernen. Ebenso können wir über längere Strecken via UKW-Funk Kontakt halten und uns bei größerem Abstand mittels Satellitentelefon dank der Vorbereitung mit wenigen Worten austauschen und Positionen übermitteln. Auch die psychologische Komponente ist nicht zu vernachlässigen. Es tut unheimlich gut, Freunde in der Nähe zu wissen, die mit den gleichen Problemen und Sorgen zu tun haben. Was man insbesondere in der HRA tunlichst vermeiden sollte, ist das Warten auf den jeweils anderen. Das würde die Zeit in der HRA unnötig verlängern. Es gilt also, sich so gut es geht am Schnelleren zu orientieren.
Die Pegasus ist mit 11 Metern etwas kürzer und damit auch langsamer als die Aurelia. Walter und Siegfried waren daher schon am 3. Januar gestartet. Die Wind Hog ist ein Katamaran und deutlich länger als die Aurelia. Ich fürchtete zunächst, sie wird uns schnell davonsegeln. Lediglich bei Seiten- und besonders bei Gegenwind haben wir als Einrumpfboot Vorteile durch die geringere Abdrift. Daher ist es nicht weiter schlimm, dass die Wind Hog 2 Stunden nach uns startet. Im Gegenteil – so können wir noch einmal die Reichweite meines neuen Funkgeräts testen. Die Wind Hog konnte mich auch noch in 6 sm Entfernung glasklar hören. Auf dem Bildschirm tauchen Frachter in 15 sm Entfernung auf. Funk ist ok, eine Sorge weniger!
Gleich nach dem Aufholen des Ankers konnten wir die Segel setzen. Ganz ohne Reff geht es die ersten 30 Stunden gemütlich Richtung Nordost. Dann müssen wir zunächst für einige wenige Stunden den Motor einsetzen, bevor der Wind wieder auffrischte.
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MSCHOA-Anruf beim Notfallkontakt
Das Segeln war zwar gemütlich, aber alles andere als langweilig. Kurz nach unserer Abreise kontaktierte MSCHOA (die europäische Militärallianz im Golf von Aden) meinen Notfallkontakt in Deutschland.
Eigentlich war vereinbart, dass wir erst ab dem Eintritt in die Hochrisikozone HRA damit beginnen, mindestens 1x täglich unsere Position zu melden. Noch sind wir einige hundert Seemeilen davon entfernt. Offensichtlich kümmert man sich seitens MSCHOA intensiv und frühzeitig um seine Schützlinge. Wir begannen nun, zweimal täglich zum Sonnenauf- und untergang unsere Position zu melden.
Indische Fischer
In den ersten zwei Nächten sahen wir uns mit zahlreichen indischen Fischern konfrontiert. Sehr strukturiert fischen sie das Arabische Meer leer. In einem deutlich erkennbaren Raster von 5 x 5 Seemeilen befindet sich in jedem Kästchen jeweils 1 Fischerboot mit einem langen Netz. Sowohl die Fischerboote als auch die Netze sind mit AIS Class B ausgestattet. Leider verwenden viele davon ein Protokoll, das mein 8 Jahre altes Navigationsgerät nur teilweise erkennt. Es listet zwar die Signale auf, kann jedoch die Position nicht auslesen. Glücklicherweise ist die Boating-App auf meinem Tablet dazu in der Lage. Ab sofort nutzen wir dieses als Ergänzung, um einen Weg entlang der virtuellen Gitternetzlinien zu finden. Wir fühlen uns wie in einem gigantischen Minesweeper-Spiel.
Erst mit dem Verlassen der 200 sm breiten exklusiven ökonomischen Zone Indiens fand dies ein Ende. Ab da konnten wir wieder unbeschwert die fantastischen Sonnenauf- und untergänge genießen.
Windhose
Am Morgen des 10. Januar zog eine Regenfront südöstlich an der Aurelia vorbei. In ihr bildete sich eine Windhose, die kurz vor ihrer Auflösung die Meeresoberfläche erreichte. Ich habe keine Vorstellung, welche Ausdehnung und Windstärke sie erreichte. Ich war jedoch sehr froh, einen ausreichend großen Abstand zu haben.
Schnelles Segeln mit Problemchen
Die nächsten Tage blieb der Motor aus. Mit einem Winkel von knapp unter 90° zu m Wind konnten wir sehr gut vorankommen. Wir wären sogar noch ein wenig schneller gewesen, wenn es die kleinen Problemchen nicht gegeben hätte.
Während Jakubs Wache drehte der Wind häufiger um bis zu 90°. Immer wieder mussten wir Segelmanöver durchführen. An Schlaf war für mich nicht zu denken.
Zweimal hintereinander stürzte der Plotter ab und erforderte für einige Minuten Handsteuerung, da damit auch der Autopilot abgeschaltet wurde. Die innere Want der Lee-Seite sieht recht locker aus. Das Rigg wurde letztmalig in Tahiti kontrolliert. Auch da hing sie schon etwas durch, was der Experte allerdings für normal befand. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob hier meine Müdigkeit die Sorgen verstärkte oder tatsächlich ein Nachspannen notwendig ist.
Als nächstes sahen wir einen etwa einen Meter langen Riss in der Genua. Eine der oberen Nähte war gerissen. Die Ursache ist nicht ganz klar. Die UV-Belastung ist an dieser Stelle kleiner als weiter unten. Höchstwahrscheinlich gab es zu große Spannungen beim Segeln mit gerefftem Vorsegel. Jakub hat bereits Erfahrung beim Nähen der Segel. Also übernahm er den Job und verbrachte einen sonnigen Vormittag auf dem schwankenden Bug der Aurelia.
Kurz darauf brach der oberste, am Segel angenähte Mastrutscher. Hier kam meine Erfahrung zum Tragen. Ihn hatte ich bereits auf meiner Single-Hand-Tour über den Pazifik getauscht. Ich band mich also wieder an den Mast und nähte einen neuen an.
Völlig ungewöhnlich war die lockere Mutter am Lümmelbeschlag. Das Problem der losen Schrauben lag eigentlich für lange Zeit hinter uns. Ich löste sie in einem günstigen Moment, reinigte das Gewinde und versah es mit Lock-Tide.
Des Weiteren Sprang die Bilgenpumpe mehrmals täglich an. Ich suchte das ganze Schiff nach einem Leck ab, wurde jedoch nicht fündig. Später stellte sich heraus, dass zwei Faktoren dazu führten. Zum einen gab es einen Rückfluss von der Bilgenpumpe zur Bilge. Durch die Schräglage reichte die geringe Menge aus, den Schalter zu aktivieren. Zum anderen sorgte der Hauptfilter des Wassermachers für Nachschub. Ihn hatte ich auf den Malediven getauscht und offensichtlich den Dichtungsring nicht sorgfältig genug gereinigt.
Abgesehen von all den kleinen Problemchen waren es ein paar wundervolle Segeltage. Die Sonne bescherte uns bis zu 5 kWh Strom. Mehr als ausreichend, um den Süßwassertank zu füllen, Brot zu backen, für schlechtere Zeiten vorzukochen und die Instrumente nebst Autopilot zu versorgen. Auch nach mehr als zwei Jahren freue ich mich immer wieder über meine Solaranlage.
Mit Hilfe des Satellitenmodems hielt ich engen Kontakt zur Wind Hog. Hin und wieder gab es auch ein Update von der Pegasus. Während sich die Wind Hog die gesamte Strecke bis zur HRA 5-15 Seemeilen hinter uns befand, wurde der Abstand zur Pegasus zusehends geringer, da sie bereits in der Schwachwindzone angekommen war. Die Kommunikation über Satellit ist zwar teuer, aber ich hatte mir für genau diese Strecke ausreichend Online-Minuten aufgespart. So konnten wir zweimal täglich Nachrichten austauschen, was ich sehr genossen habe.
Mahi Mahi
Seit dem Start in Uligan ziehen wir tagsüber zwei Köder hinter der Aurelia her. Nie wollte ein Fisch anbeißen. Am Morgen des 15. Januar sagte ich zu Jakub. “Heut fangen wir einen Fisch”. Prompt biss ein wunderschöner Mahi Mahi an. War war fast zu schön zum Essen. Am Ende brachte er uns drei wundervolle Malzeiten.
Hai-Begleitung
Wenige Tage später hatten wir einen interessanten Begleiter. Ein kleiner Hai versteckte sich unter unserem Kiel. Fast zwei Tage lang begleitete er uns. Jedes Mal, wenn wir an einem Stückchen Plastikmüll oder einer Kokosnuss vorbei segelten, kam er aus seinem Versteck und attackierte den Gegenstand.
Demontage des Windfahnenruders
Am Abend des 17. Januar fuhren wir in die HRA ein. Ab sofort galt es, erhöhte Aufmerksamkeit zu wahren, Funkkontakt zu minimieren, Geschwindigkeit hoch zu halten und regelmäßig die Position zu melden. Da wir demnächst in die VTZ einfahren, benötigen wir keine Windfahne. Gemäß der Empfehlung müssen wir uns innerhalb des 2 sm breiten Streifens zwischen den Fahrtrichtungen der VTZ bewegen. Die Steuerung per Windfahne ist auf Grund der Änderungen der Windrichtung dafür nicht genau genug.
Wir nutzen die Gelegenheit, bei konstanten Bedingungen unsere Geschwindigkeit mit und ohne Ruder der Windfahne zu messen. Das Ergebnis war nicht überraschend. Wir erreichten ohne das 2. Ruder eine etwa 5% höhere Geschwindigkeit.
Schwarzes Boot mit schwarzer Flagge
Am 20. Januar erreichten wir die Verkehrstrennungszone. Beim Frühstück schaute Jakub immer öfter mit größer werdenden Augen an mir vorbei. Irgendwann fragte er mich, ob ich denn das Schiff hinter uns sehe. Auf dem AIS war nichts zu sehen. Ich drehte mich um und sah in etwa 1km Entfernung einen Frachter. Eine Kurskorrektur machte keinen Sinn mehr, er war schon so gut wie vorbei.
Wenig später kam uns erneut ein Schiff sehr nahe. Es war wenig größer als ein Fischerboot, matt schwarz lackiert und trug eine schwarze Flagge. Das AIS-Signal war zwar da, zeigte jedoch ein indisches Segelboot an. Erneut war ich nicht sonderlich entspannt und behielt es bei eingeschaltetem Motor permanent im Auge. Es scherte sich recht wenig um Abstände und passierte die VTZ diagonal in etwa einer halben Seemeile Entfernung zu uns.
Beide Beobachtungen meldete ich an MSCHOA. Wenig später wurden wir von einem Militärflugzeug überflogen, das via UKW nach unserem Befinden erkundigte. Zuerst vermutete ich einen Zusammenhang mit unserer Meldung. Da wir in den nächsten Tagen immer wieder überflogen und hin und wieder auch per UKW kontaktiert wurden, gehe ich inzwischen von einem Routineflug aus.
Ein Ferrari im Golf von Aden
Die nächsten Tage waren geprägt von schwachen Winden und wechselnden Strömungen. Die meiste Zeit mussten wir motoren. Mittlerweile machte ich mir leichte Sorgen, ob unsere Dieselvorräte reichen. Täglich berechnete ich anhand der Motorstunden, der Reststrecke und des Wetters die Anzahl der noch notwendigen Segelstunden, um sicher bis Djibuti zu kommen.
Um Diesel zu sparen, reduzierte ich die Drehzahl auf 1400 u/min. Dadurch war die Wind Hog schneller als wir und überholte uns. Per Satellit empfahl ich ihnen, nicht auf uns zu warten. Mit dem nächsten Wind würden wir wieder näher kommen.
Als er auffrischte, setzten wir die Passatbesegelung mit Code 0 und Genua. Innerhalb weniger Stunden tauchte die Wind Hog vor uns auf und verschwand hinter uns am Horizont. Craig kommentierte dies in seiner nächsten Mail. Er sei recht frustriert, da er soeben von einem Ferrari stehen gelassen wurde. Das Lob gab ich umgehend an meine Aurelia weiter. Insgesamt waren die Geschwindigkeiten beider Boote jedoch recht ausgeglichen.
Funkkontakt zu einem jemenitischen Frachter
Auf der weiteren Fahrt durch die VTZ tauchten immer wieder kleine Frachter auf, die zwischen Jemen und Somalia verkehrten. Sie scherten sich wenig um die VTZ und fuhren ohne Rücksicht auf Sicherheitsabstände querfeldein.
Einer der Frachter kontaktierte mich via UKW und erkundigte sich nach unserem Ziel. Ich erklärte ihm, dass wir uns aus unserer Sicht in einem Risikogebiet befinden, daher diese Informationen nicht weitergeben wollen/dürfen und auch etwas beunruhigt sind, wenn uns ein Schiff zu nahe kommt. Er entschuldigte sich mehrmals dafür und wünschte uns eine gute Weiterreise.
Der Vorgang stimmte mich für viele Stunden sehr nachdenklich. Diese besch**** kleine Gruppe von Piraten verursacht einen unheimlich großen Schaden. Es werden Millionen an Euro dafür aufgewendet, um uns vor ihnen zu schützen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Schutz genießen kann. Ich bin aber auch sehr traurig darüber, dass unsere Kulturen durch die Bedrohung viel zu lange und immer stärker voneinander getrennt werden. So lassen sich keine Spannungen abbauen.
Gern hätte ich mich mehr mit dem Kapitän des kleinen Frachters ausgetauscht, hätte vielleicht auch mal in Jemen oder Somalia angehalten und mit dem einen oder anderen einen Kaffee getrunken und geplaudert. All das ist derzeit nicht möglich, ohne sein Leben zu riskieren. Dadurch werden die Abstände zwischen uns immer größer, dass Verständnis für andere Kulturen immer geringer. Das wiederum spielt jenen Leuten in die Hände, die nationales, völkisches und fundamental-religiöses Denken für ihre Interessen missbrauchen. Was für ein beschissener Kreislauf. Wie soll er unterbrochen werden? Meines Erachtens geht das nur mit einer Intensivierung der Kontakte zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen, dem kulturellen und wirtschaftlichem Austausch. Außerdem muss die Macht einer Regierung und oder Religion über sein Volk begrenzt werden.
Wenn beispielsweise jeder seinen Wohnort auf der Erde frei wählen kann, wäre es viel schwerer, Leute vor einen nationalen oder religiösen Karren zu spannen.
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Aurelia am Haken
Wenig später hatten wir das Ende der VTZ erreicht. Genauer gesagt macht sie einen Knick und führt in das Rote Meer. Wir segeln jedoch erst einmal nach Djibuti. Ausgerechnet jetzt nahm der Verkehr zu. Wir mussten einige Zeit warten und Funkkontakt mit den ostwärts fahrenden Frachtern aufnehmen, bevor wie die VTZ queren und verlassen konnten.
Unmittelbar nachdem das geschafft war, verringerte sich plötzlich die Fahrt der Aurelia. Trotz Wind und Segel waren wir nur mit 1-2 Knoten unterwegs. Ein Blick nach Achtern offenbarte das Drama. Wir zogen zwei Kanister und eine lange Kette weißer Bojen hinter uns her. Wieder einmal musste Jakubs Unterwasserkamera ran. Sie offenbarte gute und schlechte Neuigkeiten. Ruder und Propeller waren frei. Doch eine starke Leine hatte sich am Kiel der Aurelia verfangen.
Nach einigem Hin und Her gelang es uns, ein Ende mit dem Bootshaken herauszuziehen. Da wir anders nicht frei kamen, schnitten wir es durch. Nach allen Regeln der Logik müssten wir nun frei sein. Doch das andere Ende wollte einfach nicht vom Kiel verschwinden. Letztlich half nur ein beherzter Sprung ins Wasser. Selbstverständlich bargen wir zuvor die Segel und legten das Ruder hart Backbord, um die Fahrt auf Null zu reduzieren. Jakub tauchte herab und entfernte einen großen Haken vom Kiel. Wir waren wieder frei. Jetzt sind es nur noch 100 Seemeilen bis Djibuti.
Frischer Fisch
Kurze Zeit später kam ein schnelles Fischerboot auf uns zu. Erst klein wie ein Stecknadelkopf wurde es schnell größer und kam direkt auf uns zu. Mit dem Fernglas konnte ich mehrere Leute ausmachen. Fischer oder Piraten? Zum Absenden einer Nachricht an MSCHOA blieb keine Zeit. Ich rannte zum Funkgerät und informierte die Wind Hog, die sich in Funknähe befand. Sekunden später war das Boot dicht neben uns. Ein Fischer hielt uns einen Fisch entgegen. Beruhigt lehnte ich ab. Die Fischer zog von dannen. Hier gilt das Gleiche wie beim jemenitischen Frachter. Die Angst vor Piraten hält uns auf Abstand zur lokalen Bevölkerung. Das ist langfristig nicht gut.
Stählerne Giraffen
Am Morgen erreichten wir den Hafen von Dschibuti. Ein letzter Funkkontakt zu einem Frachter, der unseren Weg kreuzte, dann begrüßten uns die stählernen Giraffen des neuen Container-Hafens. Um 10:00 Uhr fiel der Anker gleich neben der Pegasus, die wenige Stunden vor uns eintraf. Eine Stunde später war auch die Wind Hog am Ziel.
Mehr über die mehrtägige Einklarierung und unsere Erlebnisse erfahrt Ihr im nächsten Artikel.