Energie auf See
Auf der ersten Etappe legte Aurelia in 128 Tagen etwa 6.200 sm zurück. Welche Energiequellen hat sie dafür genutzt? Wieviel Energie stand zur Verfügung? Wie wurde sie verwendet? Nach einem tiefen Blick in das Logbuch, diverse Formelsammlungen und technische Dokumentationen kann ich Euch in diesem Beitrag eine Antwort darauf geben.
Energiequellen
Schauen wir zunächst darauf, welche Energieformen der Aurelia zur Verfügung stehen. Hierzu gehören Wind- und Sonnenenergie, Landstrom und Diesel. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht ihr Zusammenspiel:
Solarenergie
Als eines der ersten Projekte wurde auf der Aurelia eine Solaranlage installiert. Auf einer Fläche von 4 m2 kann die Sonnenenergie in elektrische umgewandelt werden. Die durchschnittliche Sonneneinstrahlung auf der ersten Etappe betrug 250 Watt pro m2. Daraus ergibt sich ein theoretisches Potential von 24 kWh pro Tag.
Um möglichst viel hiervon in elektrische Energie umzuwandeln, habe ich mich für bifaciale Solarmodule von LG (LG390N2T-A5) entschieden. Sie bieten nach DIN 390 Wp pro Modul. Durch die zusätzliche Nutzung der Einstrahlung auf der Rückseite (bifacialer Anteil) werden laut Hersteller bis zu 30% Mehrertrag erzielt. Dieser konnte in der Realität unter optimalen Bedingungen tatsächlich erreicht und sogar leicht übertroffen werden.
Die Spitzenleistung der Solaranlage lag bei 1070 Wp. Den höchsten Tagesertrag von 6 kWh erreichte sie um die Sommersonnenwende an einem kühlen, wolkenfreien Tag in Locmiquelic (47° 43′ N). An verregneten Tagen wurden etwa 2 kWh erzielt. Wer nun denkt, in der Karibik ist der Ertrag viel höher, liegt leider falsch. Über das gesamte Jahr gerechnet ist das zwar korrekt, mit dem Segelboot ist man jedoch überwiegend an Sommertagen unterwegs. Vergleicht man diese, reduziert sich der Ertrag in der Karibik durch diesigere Luft, kürzere Sonnenscheindauer und höhere Temperaturen um etwa 17%.
Für einen guten Tagesertrag ist es darüber hinaus extrem wichtig, eine Teilverschattung zu verhindern. Sobald auch nur eine der 144 Solarzellen vollständig verschattet ist, bricht die Leistung um etwa 50% ein. Der Schatten einer Backstag beispielsweise fällt kaum ins Gewicht. Die Aurelia trägt jedoch ihr Radargerät am Heck, da es die Werft in Locmiquelic partout nicht auf den Mast montieren wollte. Sobald sich die Sonne auf der Steuerbordseite befindet, sinkt die Energieausbeute erheblich. Dennoch konnte die Solaranlage im Mittel stolze 3,5 kWh pro Tag erzielen.
Um diese Energiemenge kontinuierlich bereitzustellen, wird sie über einen Solarladeregler (Victron Smartsolar MPPT 150/35) auf 48 V heruntergeregelt und in zwei LiFePO4-Akkus von Pylontech mit einer Gesamtkapazität von 4,8 kWh gespeichert. LiFePO4-Akkus haben gegenüber den in der Autoindustrie verwendeten NMC-Akkus wesentliche Vorteile:
- Eine höhere Brandsicherheit
- Keine Verwendung seltener Stoffe wie Cobalt
- Eine vielfach höhere Zyklenfestigkeit
Das in Kauf zu nehmende höhere Gewicht spielt auf der Aurelia keine wesentliche Rolle.
Ein Wechselrichter (Teilfunktion des verbauten MultiPlus II von Victron) wandelt die 48 V Gleichstrom in 230 V Wechselstrom (mit echter Sinuskurve) um. Hierüber können bis zu 3 kW Leistung abgerufen werden.
Die 12 V-Anlage mit 4 x 110 A = 5,3 kWh Gel-Akkus war bereits beim Kauf des Schiffes vorhanden und wurden unverändert übernommen. Die Kapazität klingt zunächst sehr gut. Es muss aber beachtet werden, dass sie eine geringe Zyklenfestigkeit besitzen und wesentlich empfindlicher auf tiefere Entladung reagieren. Daher werden die 12-V-Akkus an Bord der Aurelia kontinuierlich über einen DC-DC-Wandler mit bis zu 110 W aus der 48 V-Anlage versorgt. So bleibt der Ladezustand überwiegend im oberen Bereich. Nur in wenigen Situationen wurden sie tiefer entladen. In diesem Fall kam der originale Bordladeregler mit einer Leistung von max. 1 kW zum Einsatz. Er wird über den Umweg des 230 V Netzes betrieben (s. Grafik oben).
Landstrom
Über den MultiPlus II kann die Aurelia mit Landstrom versorgt werden. Dank der Solaranlage war dies nur selten notwendig. Insbesondere zu Beginn der ersten Etappe haben wir ihn gelegentlich genutzt, um den Salon zu heizen, die Akkus aufzuladen und für die Dauer des Anschlusses die 230 V Geräte direkt zu versorgen. Die konservative Schätzung der genutzten Landstromenergie liegt bei 90 kWh. Normiert sind es 0,7 kWh pro Tag.
Diesel
Das ursprüngliche Ziel von Sailing-Aurelia war es, ohne fossile Energien um die Welt zu segeln. Der Schiffsdiesel 3JH5E von Yanmar hatte beim Kauf jedoch erst 250 Betriebsstunden auf der Uhr. Eine Umrüstung auf den Wunschantrieb SD20 mit Hydrogenerator von Oceanvolt hätte mir zwar unheimlich viel Freude bereitet, wäre aber sehr teuer und zeitaufwändig geworden. Der Umbau hätte zudem damit geendet, dass ich aus Sicherheitsgründen ein Dieselaggregat zur Stromerzeugung eingebaut hätte. Nur so wäre für den Ernstfall eine ausreichende Energieversorgung auf See sichergestellt. Ein Umbau war also weder ökonomisch sinnvoll, noch hätte ich vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten können.
Chemische Energie
In den 128 Tagen der ersten Etappe verbrauchte der Dieselmotor in 402 Betriebsstunden 609 Liter Diesel. Ein Liter Diesel enthält ca. 9,7 kWh chemische Energie (Heizwert). Daraus ergibt sich ein Verbrauch von 5.907 kWh, normiert sind das 46,15 kWh pro Tag an chemischer Energie.
Vortriebsenergie
Diese wurde durch den Dieselmotor in elektrische, Wärme- und Vortriebsenergie umgewandelt. Anhand des Logbuchs und der Verbrauchskennlinie des Motors lässt sich hochrechnen, dass der Motor ca. 130 Stunden im Leerlauf bzw. mit vernachlässigbarer Vortriebsleistung betrieben wurde. An 272 Stunden leistete der Motor im Mittel 6 kW an der Antriebswelle. Bei einem geschätztem Wirkungsgrad der Schiffsschraube von 75% ergibt sich daraus eine mittlere Vortriebsleistung von 4,5 kW. Das ergibt insgesamt 1.124 kWh. Normiert wurden also 9,6 kWh pro Tag für den Vortrieb verwendet.
Elektrische Energie
Die Lichtmaschine des Motors leistet maximal 80 A. Unter Berücksichtigung der Drehzahl, des Ladezustandes der 12V-Batterien und der aktiven Verbraucher schätze ich die mittlere Abgabe auf 20 A (Ich hoffe, ich kann dies in der nächsten Etappe genauer messen). Daraus ergibt sich eine Leistung von 240 Watt über alle Betriebsstunden, also 96,5 kWh. Normiert sind dies 0,75 kWh pro Tag elektrische Energie.
Wärmeenergie
Der Motor war an 74 Tagen im Einsatz. An diesen hat er jeweils geschätzte 2 kWh Wärmeleistung an den Warmwasserboiler abgegeben. Daraus ergeben sich 148 kWh oder normiert 1,16 kWh pro Tag an Wärmeenergie.
Die „restlichen“ 4.538 kWh der chemischen Energie des Diesels gingen als Abwärme verloren. Bei der Verbrennung entstanden außerdem 1,6 Tonnen CO2. Würde man die Einsparungen der heimatlichen Öl-Heizung aus dem gleichen Zeitraum gegenrechnen, wäre die Energiebilanz zwar deutlich positiv, dennoch ist der Ausstoß kein Ruhmesblatt.
Wind
Theorie
Die exakte Berechnung der Leistung, die ein Segelschiff aus dem Wind gewinnen kann, ist nahezu unmöglich. Komplexe Strömungen an den Segeln, Kurs/Geschwindigkeit zum Wind, Windgeschwindigkeit und viele weitere Faktoren lassen die Länge einer möglichen Formel gegen unendlich wachsen. Stark vereinfacht lässt sich die Windenergie jedoch anhand des Staudrucks und der Segelfläche berechnen. Die Windkraft ergibt sich aus dem Produkt des Quadrats des scheinbaren Windes, des halben Luftdrucks und der Segelfläche:
Der Formel muss noch ein Widerstandsbeiwert hinzugefügt werden. Ihn kennt man bspw. auch aus der cw-Wert-Angabe bei PKWs. Für einen idealen Körper in einem idealen Gas kann er 0 sein. In der Realität liegt er beispielsweise bei 0,03 für einen Pinguin und bei 1,3 für eine konkave Halbschale (in etwa ein Gennaker oder Landefallschirm). Laut Literatur kann der Beiwert bei Am-Wind-Kursen durch Ausnutzung des Bernulli-Effekts der Segel auch bei 1,5 liegen. Die Aurelia hat es mit den Fähigkeiten ihres Freizeitskippers, also mir, vermutlich gerade mal auf 1,1 gebracht. Mit diesem Beiwert gehen wir in die Berechnungen:
Multipliziert man die Kraft aus obiger Formel mit der Geschwindigkeit des Schiffes, erhält man die Leistung. Einige konkrete Beispiele aus dem Logbuch:
- Am 25.10.19 gelang es uns dank Svens Trimm-Künsten, mit Hauptsegel und dem Code Zero bei flacher See aus 6,2 kn Halbwind 4,2 kn Fahrt herauszuholen. Daraus ergibt sich eine Windleistung von 1,65 kW.
- Auf dem Atlantik waren wir zu großen Teilen nur mit der ausgebaumten Genua unterwegs. Eine achterliche frische Briese um 21 kn schob uns nach vorn. Das ergibt eine Windleistung von überraschend geringen 3,43 kW an der Genua. Hier halfen wohl auch der Kanarenstrom von immerhin 0,25 kn, die achterliche Welle und die Angriffsfläche des restlichen Schiffes.
- Wenn wir zwischen den karibischen Inseln bei 21 kn im ersten Reff ca. 7 kn Fahrt erreichten, wirkten nach dieser Formel bereits ca. 17 kW auf die Segel.
Anhand der Logbuchdaten erreichte die Aurelia im Segelmodus eine Durschnittsgeschwindigkeit von 5,2 kn bei im Mittel 16 kn scheinbarem Wind. Daraus ergibt sich die zugegebenermaßen sehr grobe Schätzung einer mittleren Windleistung von 7,3 kW.
Die Aurelia stand in der ersten Etappe ca. 875 Stunden unter Segeln. Dabei hat sie gemäß obiger Hochrechnung 6.388 kWh Windenergie genutzt. Normiert auf die erste Etappe sind dies rund 50 kWh pro Tag.
Benzin
Üblicherweise verwendet man für das Beiboot einen Benzinmotor. In meinem Fall wäre das ein sehr kleiner 2,3 PS-Antrieb mit nur einem Liter Tankinhalt gewesen. Ein 10 Liter Kanister hätte als Reserve gedient. Geht man davon aus, dass ich den Kanister in dieser Zeit 2 x verbraucht hätte, wären es 21 Liter * 8,6 kWh/Liter, also ca. 181 kWh gesamt bzw. 1,41 kWh pro Tag gewesen.
Da ich den Benzinmotor durch den elektrischen 1 kW-Motor (Travel 1103 CS) von Torqeedo ersetzt habe, konnte ich auf diese fossile Energie und die typischen Probleme eines Außenborders vollständig verzichten. Allerdings ist auch der Elektroantrieb nicht ohne Nachteile. Hierauf werde ich in einem separaten Blogbeitrag näher eingehen.
Gas
Übliche Segelboote haben einen Gasofen an Bord. Dieser wird mit Butangas betrieben. Die Aurelia hatte ursprünglich 2 Flaschen á 3 kg an Bord. Geht man von einem Flaschenwechsel aller 2 Wochen aus, stehen etwa 2,7 kWh pro Tag zur Verfügung. Den Gasherd habe ich ebenfalls durch elektrische Alternativen ersetzt. Somit konnte ich auch auf diese fossile Energie vollständig verzichten. Besonders froh darüber war ich in den Wochen des Lockdowns auf Curacao. Auch sonst ist das zeitaufwendige Hantieren mit den vielen unterschiedlichen Anschlüssen dieser Welt nicht unbedingt die Art von Freizeitbeschäftigung, die man sich auf einem Segelboot wünscht.
Summary
Nach Abzug der Umwandlungsverluste der Primärenergien konsumierte die Aurelia knapp 66 kWh pro Tag. Über 90% davon wurden in den Vortrieb investiert. Der Anteil grüner Energie lag dank Wind und Sonne bei 81%.
Die im Mittel 5 kWh pro Tag erzeugte elektrische Energie kam zu 70% aus der Bord-Solaranlage. Neben dem typischen Verbrauch auf einer Yacht wurde damit auch gekocht, das Trinkwasser erzeugt und das Dinghy angetrieben.
Verbraucher
Bereits während der ersten Tagen wurde deutlich: Autopilot und Kühlschrank sind die größten Verbraucher. Allein diese beiden verbrauchten in der Biskaya bei schlechtem Wetter mehr Energie, als die Solaranlage bereitstellen konnte. Daher ließen wir am 3. Tag den Motor für einige Stunden laufen. So mussten wir nicht auf das Kochen verzichten. Nach Inbetriebnahme der Windsteuerung entspannte sich die Lage. Allerdings deaktivierten wir diese auf dem Atlantik (siehe Blogeintrag). Hier verhalf uns das bessere Wetter zu einem höheren Solarstromertrag. Während der Nutzung des Watermakers ließen wir sicherheitshalber den Motor mitlaufen, damit die 12V-Anlage auch für die Nachtfahrt gut gefüllt blieb.
In all der verbleibenden Zeit war die Energiesituation zwar nicht immer üppig aber jederzeit ausreichend. Der Kühlschrank lieferte durchweg kaltes Bier und 230 V waren auch auf See immer verfügbar, wenn wir sie brauchten.
Näherte sich der Akku-Füllstand der 100%, nutzten wir die Energie auch zum Aufheizen des Warmwasserboilers.
Eine Übersicht der Verbraucher mit teilweise geschätzten Einschaltzeiten zeigt die nachfolgende Tabelle:
Gerade die stark unterschiedlichen Einsatzzeiten der Geräte bringen einige, teils überraschende Erkenntnisse ans Tageslicht:
- Allein für die dauerhafte Bereitstellung von 230 V mit echter Sinuskurve wurden fast 40 kWh verbraucht. Mit einer anderen Konfiguration des Wechselrichters könnte dieser Verbrauch um etwa 20% gesenkt werden. Bei geringer Last kommt es dann aber zu Einbußen in der Sinus-Qualität.
- Der DC-DC-Wandler hat ebenfalls eine recht hohe Verlustleistung. Hier wäre eine weitere kleinere Solaranlage mit einem 12-V-Solarladeregler effizienter.
- Eine weitere Energiequelle, z.B. ein Hydrogenerator oder eine zweite Solaranlage würde die Sicherheit der Energieversorgung während der Fahrt deutlich verbessern. Diese Einschätzung relativiert sich leider bei der Betrachtung der Investitionskosten (Bsp. Watt&Sea Cruising 600).
- Fasst man die drei Kochstellen zusammen, stellen sie den größten Verbraucher dar. Beim Kochen haben wir uns in der ersten Etappe bis auf zwei Ausnahmen nie einschränken müssen. Wird die Energie einmal knapp, kann dieser Block bei geringen Komfort-Einschränkungen für eine gleichmäßigere Lastverteilung genutzt werden.
- Leistungsstarke Winschen und Bugstrahlruder stellen bei normaler Verwendung keine nennenswerte Belastung für den Energiehaushalt dar.
- Der Verbrauch ist auf See mehr als doppelt so hoch wie vor Anker oder in der Marina.
- Die Windsteuerung bietet nicht nur mehr Ausfallsicherheit, sie ist auch ein wichtiger Faktor beim Energiemangement auf See.
Hinweise
Die in diesem Beitrag genannten Komponenten habe ich nach bestem Wissen ausgewählt, sofern sie nicht bereits beim Kauf der Segelyacht an Bord waren. Für keines der Produkte habe ich irgendeinen Vorteil oder Zuwendung erhalten.
Die oben aufgeführten Zahlen sind nach bestem Wissen gemessen, berechnet, hochgerechnet oder geschätzt. Sie sind dennoch ohne Gewähr. Ich freue mich über jede konstruktive Kritik zur Verbesserung dieser Werte.