Lockdown
Kurz nach der Schiffswartung wurden die Restriktionen weiter verschärft und endeten schließlich in einem Lockdown, der auch eine mehrwöchige vollständige Ausgangssperre beinhaltete. Was macht man in so einer Zeit auf dem Schiff?
Proviantierung
Zunächst einmal war es wichtig, sich mit den notwendigen Lebensmitteln zu versorgen. Keiner weiß, ob und für wie lange es einen Lockdown geben wird. Entsprechend schwierig war die Entscheidung. Ich hatte ohnehin bereits für viele Tage Proviant an Bord, da es ja eigentlich weiter nach Kolumbien und Panama gehen sollte. Diese Länder sind aber mittlerweile geschlossen. Also fokussierte ich mich auf frisches Obst/Gemüse und isotonische Getränke :-). Vor dem Supermarkt gab es zwei Meter-Markierungen, innen nur wenige Körbe. Diese wurden vor jeder Nutzung desinfiziert. Zwei Wachmänner stellten die Einhaltung der Regeln sicher. Ausnahmslos jeder hielt sich daran. Eine Klopapiersucht wie in Deutschland war hier noch nicht ausgebrochen.
Dinghy Tour
Am 29.3. konnte ich einen letzten Ausflug machen. Mit meinem kleinen Elektro-Dinghy ging es quer über das „Spanish Water“ zum 2 km entfernten Westufer. Dort übergab ich einer Bekannten eines meiner frisch gebackenen Brote. Gemeinsam wanderten auf einen kleinen Berg, der uns einen großartigen Blick über das Areal bescherte. Die Bucht, in der ich mein Dinghy parkte, diente der Insel als Quarantäne-Gebiet. Hier lagen die Hembadoo, die Arrya und einige weitere Segelyachten, die nach der Schließung der Seewege Curacao erreichten und nun in eine 14-tägige Quarantäne mussten.
Leider hielten sich nicht alle daran, sodass man später dazu überging, alle Einreisenden auf eigene Kosten in ein bewachtes Hotel am Flughafen zu stecken.
Auf dem Rückweg frischte der Wind auf. Ich musste mich mit meiner Gummi-Nussschale gegen kleine gemeine Wellen und etwa 20 Knoten Wind stemmen. Der Akku reichte locker, aber es muss sehr anstrengend ausgesehen haben. Als ich in der Marina eintraf, wurde ich von den verbliebenen Yachtbewohnern mit „Standing Ovations“ begrüßt.
Der Tag endete mit dem Beginn der Ausgangssperre. Auf die Straße durfte man nur noch zum Einkaufen von Lebensmitteln oder auf Antrag zu speziellen Anlässen.
Der Krimi um die RCGS Resolute
Am 30. März gab es unweit von Curaçao einen schweren Zwischenfall zwischen der RCGS Resolute und einem venezolanischen Marine-Schiff. Auf Grund des für den arktischen Einsatz verstärkten Rumpfes der RCGS Resolute endete er mit dem Untergang des Kriegsschiffes. Die 70 Seemänner wurden nicht von der RCGS Resolute sondern von Venezolanern gerettet. Warum sich was wie zugetragen hat, werden wir wohl nie genau erfahren. Zunächst hieß es, das Kreuzfahrtschiff wurde in Richtung der Hoheitsgewässer durch Rammen abgedrängt. Die Schäden an der RCGS Resolute passten meines Erachtens nicht zu dieser Story. Nach anfänglichen vorschnellen Anschuldigungen in den Medien, sieht die aktuelle Erkenntnislage etwas anders aus.
Fakt ist, die RCGS Resolute flüchtete nach Curacao und lag später im Hafen von Willemstad. Dort wurde sie inzwischen für nur 600.000 Dollar versteigert.
Vom Urknall bis zur Wasserstofftechnologie
In den ersten Tagen des Lockdowns war ein weiterer deutscher Skipper in der Marina. Als ehemaliger Professor für Energietechnik fand ich in ihm einen perfekten Gesprächspartner rund um die Energiethemen der Aurelia und der heimatlichen Energieversorgung. Spätestens nach dem zweiten Orjaneboom landeten wir bei Dingen wie dem Urknall oder der String-Theorie. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit ihm durch diese Themen zu surfen.
Chatten bis der Arzt kommt
Die aktuelle Lage wurde für uns Segler in der Karibik immer unübersichtlicher. Täglich gab es neue Regeln, Quarantänen, Grenzschließungen und ähnliches. Wir trafen uns in unterschiedlichen WhatsApp-Gruppen, um uns darüber auszutauschen. Ich selbst moderierte eine solche Gruppe für die Segler in Curaçao.
So verwendete ich täglich mehrere Stunden für die Kommunikation mit sehr vielen Leuten. Für mich war das durchaus eine Herausforderung, der ich mit der einen oder anderen Aspirin begegnete.
Bisher hatte ich mich in der Segler-Community sehr wohl gefühlt. Es sind Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, selbst Verantwortung übernehmen und anderen zur Seite stehen, wenn es von Nöten ist. Die Gruppenchats zeichneten teilweise ein anderes Bild. Die Unsicherheit der Menschen drückte sich in recht komischen Ansichten, Intoleranz gegenüber anderen Meinungen und völlig überzogenen Ideen aus. So gab es beispielsweise den Vorschlag, eine deutsche Fregatte zur Begleitung einer Heimsegel-Flottille einzusetzen. Wieviel davon tatsächlich von Skippern kam, ist schwer auszumachen.
Zu einigen Gruppen hatten sich mittlerweile auch Journalisten, Mitarbeiter des Auswärtigen Amts und der Bundespolizei gesellt. Sie halfen uns, Wege in die Heimat zu bahnen.
Letzten Endes fand jeder seinen Weg. Viele brachten ihr Schiff an Land und flogen heim. Einige schlugen sich zu uns nach Süden durch, andere fuhren direkt nach Panama. Eine größere Gruppe organisierte sich für eine Heimreise auf dem eigenen Kiel. Sie wurden durch den Ocean Cruising Club und den deutschen Trans Ocean e.V. unterstützt. Die Beiträge der Kreuzer-Abteilung des Deutschen Seglerverbandes waren zu diesem Zeitpunkt – vorsichtig ausgedrückt – wenig hilfreich und weltfremd.
Die spektakulärste und teuerste Lösung war wohl die Verschiffung der Yacht nach Europa, die auch von einigen in Anspruch genommen wurde. Hier ein Bild, das uns Martin von seiner M Jambo schickte. Er hatte sich für eine Heimreise auf dem eigenen Kiel entschieden und wartete vor Martinique auf den richtigen Zeitpunkt.
Hätte ich mich auch für einen Rückreise auf der Aurelia entschieden, wären wir beide gemeinsam gestartet.
Ich gab mir aber noch bis Anfang Mai Zeit zu schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Spätestens dann sollte ich aber nach einer Alternative zu meinem aktuellen Plan suchen.
Coronaspeck
Die Aktivitäten auf dem Schiff hielten sich in Grenzen. Was sollte man auch tun? Es sind zwei völlig verschiedene Dinge, ob man ein Schiff für eine lange Fahrt oder zum Verlassen vorbereitet. Um wenigstens etwas Bewegung zu haben, musste ich die Ausgangssperre etwas großzügig interpretieren.
Während des Lockdowns sollten wir unsere Wohnung nur in Ausnahmefällen verlassen. Für mich hieße das eigentlich, auf dem Boot zu bleiben. Aber da ich Gast der Marina war und damit auch Gast des Santa Barbara Plantation, definierte ich die Unklarheit der Regeln nach den ersten Tagen für mich derart, dass man sich auf dem Privatgrundstück bewegen darf. Die Ansteckungsgefahr habe ich damit nicht erhöht. Ich war allein auf weiter Flur.
Also machte ich mich auf, die Gegend zu erkunden. Golfbälle flogen ja nicht mehr herum. Das Hotel und der Golfplatz waren geschlossen. Ich setzte mir das Ziel, alle 18 Tees and Holes abzulaufen. Die Strecken sind gar nicht so groß, aber bei Temperaturen um die 30 Grad empfand ich es durchaus als Herausforderung.
Eine kuriose Sache: Vor der Pandemie war in den Sträuchern häufig ein Rascheln von Echsen und Leguanen zu hören. Während der Pandemie herrschte totale Stille. Als hätten sie sich die Tiere auch allesamt in den Lockdown begeben. Eine der seltenen Ausnahmen war ein Leguan, der sich auf der Straße sonnte:
Zwischen den Wanderungen verbesserte ich meine Koch- und Back-Künste. Brote gelingen jetzt eigentlich immer und waren leider viel zu schnell wieder aufgegessen. Auch das Kochen von kleinen Portionen war gar nicht so einfach. Letztendendes ließ sich eine Gewichtszunahme nicht vermeiden.
Zenit
Die Astronavigation ist auf der ersten Etappe ein wenig zu kurz gekommen. Zwar habe ich einen Sextanten an Bord, aber es gab immer genügend zu tun und keine Not, ihn zu verwenden. Nichtsdestotrotz versuche ich mich immer ein wenig darin, die Position von Sonne, Mond und Sternen zu verfolgen. Am 21. April gab es um 12:34 Uhr einen besonderen Zeitpunkt. Zum ersten Mal in meinem Leben befand sich die Sonne genau über mir im Zenit.
Pan Pan
Am Abend des 4. Mail erhielt ich einen beunruhigenden Anruf. Eines der Schiffe aus meiner WhatsApp-Gruppe war vor einigen Tagen Richtung Panama gestartet. Sie hatten Probleme mit dem Ruder, Motor Plotter und Funkgerät. Hörbar froh, mich erreicht zu haben, baten Sie um Hilfe. Nach Klärung der Lage informierte ich über einen weiteren Segler, der bereits in Panama angekommen war, die dortige Küstenwache. Nach einer bangen Nacht in Bereitschaft gab es am Vormittag die Entwarnung. Sie hatten die Marina erreicht und konnten dank unserer Unterstützung zum Liegeplatz gebracht werden.
Heimkehr
Nach fünf Wochen Lockdown war meine Geduld zu Ende. Es gab nach wie vor keine Perspektive, den Pazifik zu bereisen. Das Wetterfenster für die 12.000 Seemeilen bis Thailand wurde immer kleiner. In der Karibik begann die Hurrikan-Saison. Zwar könnte ich jederzeit nach Panama segeln doch bis auf den Kanal blieb alles dahinter auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es war Zeit zu entscheiden, wie es weitergeht.
Ich verlängerte ich meinen Liegeplatz bis November und buchte einen Heimflug. Das gestaltete sich schwierig und wurde erst nach dem Einschalten des hiesigen deutschen Konsulats einfacher. Letzen Endes bekam ich einen Flug für den 13. Mai. Allerdings nur bis Amsterdam.
Die Kontrollen am Flughafen waren streng. Man konnte nur mit Mundschutz eintreten und musste ihn ohne Unterbrechung tragen. Klar, es ist ungewohnt, aber dieser Mundschutz ermöglicht es uns, weiterhin mobil zu bleiben.
Von Amsterdam ging es in fünf Zügen weiter nach Cottbus, wo ich von meinem Vater abgeholt wurde. Wenig später begrüßten mich Fritz und Taps in meiner Wohnung, die nun für die nächsten 2 Wochen mein Quarantäne-Quartier darstellte.