Pazifiküberquerung – 3. Woche
Zwei Wochen sind wir nun schon auf dem Weg zu den Marquesas. Bei einer Atlantiküberquerung hätten wir nach dieser Zeit beinahe Land in Sicht. Hier im Pazifik haben wir noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Das soll sich in der dritten Woche ändern.
25.02.21 Two Two Two Two
Die Nacht war unruhiger als erwartet. Das Nachlassen von Wind und Welle blieb aus. So haben wir wieder mit 130° zum Wind einen etwas nördlicheren Kurs eingeschlagen. Außerdem brachten wir zur Sicherheit und Bequemlichkeit die Trossen aus. Es bestätigt sich immer mehr, dass sie enorm dabei helfen, den Kurs zu halten, das Boot aber nur um etwa 0,3 Knoten abbremsen. Nach einem erneuten Etmal von rund 140 sm verfestigt sich die Prognose, dass wir am 13.3. in Nuku Hiva ankommen werden.
Einen störenden Faktor gab es des nachts dann doch. Unter dem Kühlschrank habe ich ein paar Gläser zum Vorkochen eingelagert. Sie fingen in der Nacht an zu klappern. Da ich im Salon schlafe, befanden sie sich direkt unter meinem Ohr, welches auf See sehr sensibel auf neue Geräusche reagiert. Ich brauchte etliche Anläufe, um die Geräuschquelle zu finden. Erst gegen 5:00 Uhr war es soweit – zu spät für eine erholsame Nacht.
Am Vormittag war ich gut beschäftigt. Per IridiumGo! kontaktierte ich einen bekannten Segler, der mir von Land aus Tipps zum Wetter gibt und holte eine neue Wettervorhersage als GRIB-Datei ab. Dann ließen Wäsche waschen, Brot backen und die täglichen Routinechecks an Bord den halben Tag schnell vergehen.
Der blaue Himmel verspricht auch heute eine gute Sonnenernte. Derzeit benötigen wir den Motor weder für warmes Wasser, noch zum Laden der Servicebattieren oder zum Wassermachen. Alles wird mit Sonnenenergie erledigt. So habe ich mir das vorgestellt, als ich vor 2 Jahren begann, meine Pläne in die Tat umzusetzen. Genau heute vor 2 Jahren flog ich nach Lorient, um am 26.2. früh morgens das erste Mal die Aurelia zu sehen. Damals hieß die kleine Französin noch Carefil 2.
Irgendwann im Laufe des Tages unterschritten wir die Reststrecke von 2222 Seemeilen. Die Zwei scheint die Zahl des Tages zu sein.
Den Nachmittag nutzten wir für ein kleines Steuertraining. Wind und Seegang waren genau richtig dafür, auch wenn es auf den Fotos wieder einmal viel flacher ausschaut.
Während des allabendlichen Rundgangs prüfte ich dieses Mal den Mast etwas intensiver und entdeckte am Reff 2 eine aufgescheuerte Stelle direkt am Eingang zum Baum. Gerade noch rechtzeitig! Lediglich einige Litzen waren noch vorhanden. Wir, genauer ich, hatten das Reff zu dicht an dem Baum herangeholt. Dadurch läuft die Reffleine am Vorliek nicht mehr über die Rollen sondern schleift am Baum. Hoffentlich hält das noch über Nacht, jetzt eine Reparatur vorzunehmen, würde evtl. in einem halbfertigen Zustand in der Dunkelheit enden. Also lösten wir das Reff soweit, dass nichts mehr schleifte und hofften, dass die beschädigte Stelle die Nacht überlebt. Einmal mehr bin ich sehr froh, diesen täglichen Rundgang konsequent und sorgfältig durchzuführen. Auch wenn man in 90% der Fälle nichts findet, gibt es doch Tage wie heute, an denen man einen Fehler gerade noch rechtzeitig feststellt, bevor ein größeres Problem entsteht.
26.02.21 Leinentausch und Lachanfall
Um 3:00 Uhr begann meine Wache. Ich war aber schon 2:15 Uhr wach. Mein Gehör ist auch im Schlaf unglaublich darauf getrimmt, Änderungen wahrzunehmen. Der Wind kommt aus der falschen Richtung. Also stand ich auf, machte mich für die Wache fertig und löste Sheila etwas früher ab. Der Wind hatte abgenommen, ebenso die Wellen und leider auch unsere Geschwindigkeit. Kein Grund zu zögern. Nach dem vollständigen Ausreffen beider Segel und dem Einholen der Trossen stieg unsere Geschwindigkeit wieder auf die angestrebten 5-6 Knoten an. Zeit für ein paar Intervallschlafzyklen.
Mit dem Sonnenaufgang begutachtete ich den Schaden an der Reffleine. Da ist nichts mehr zu retten. Glücklicherweise habe ich noch eine alte Fall. Sie ist bestens für diesen Job geeignet. Gleich nachdem Maya aufgestanden war, tauschten wir sie aus. Dazu schweißten wir zunächst die ehemalige Fall mit der alten Reffleine zusammen, vernähten sie zur Sicherheit. So konnten wir mit dem Herausziehen der alten Reffleine die ehemalige Fall in einem Arbeitsschritt hineinziehen. Zum Schluss noch ein Palstek in einer recht unbequemen Position am Mast und die Reparatur ist auch schon wieder vorbei. Mit einer Crew geht so etwas eben deutliche schneller als allein.
Außerdem kontrollierte ich heute Morgen erneut das Ruderspiel – so gut es halt geht. Ich öffnete dazu die Verschraubung zum Ansetzen der Notruderpinne, hielt die Hand auf dem oberen Ende der Ruderwelle und versuchte zu spüren, ob sie neben dem hin und herdrehen auch etwas hin- und her kippt. Ich schätzte das Spiel auf etwa 1 mm ein. Bei einem geschätzten Abstand zwischen oberem und unterem Lager von etwa 50 cm und einer Ruderlänge von etwa 2 m wird sich die Ruderspitze wohl so in etwa 5mm hin- und herbewegen. Das scheint mir noch nicht sehr groß zu sein. Es hat sich die letzten tausend Meilen auch nicht verändert. Sieht fast so aus, als könnte ich es vermeiden, das Boot in Tahiti aus dem Wasser zu nehmen.
Zum Mittag hatte uns Maya heute ein paar Brote mit Wurst und Käse zubereitet. Das führte zum bisher lustigsten Moment dieser Überquerung und ist dennoch schwer in Worte zu fassen. Ich versuche es einmal:
Wie immer auf See reicht das Crewmitglied im Salon das Essen einem zweiten zum Cockpit raus. So vermeidet man Lebensmittel verschwendende Stürze auf der Treppe. Zuerst bekam Sheila ihr Brot mit Käse, dann gab Maya ihren Teller heraus. Als ich an der Reihe war, fand ich darauf nur trocken Brot auf meinem Teller. Auf die Frage, ob ich denn nicht auch etwas Käse bekommen könnte, schaute mich Maya irritiert an. Nach einer Weile fragte sie mich, ob ich denn keine Wurst esse. Nun war ich irritiert, denn Wurst hatte ich ja auch keine. Also gingen wir auf die Suche nach der Wurstscheibe. Als wir sie fanden, war es erst mal vorbei mit dem Essen. Wir lagen flach vor Lachen. Der Wind hatte sie vom Brot geholt und keiner hat es mitbekommen.
27.02.21 Unter Zweitausend
Kurz nach 3 Uhr – ich war gerade dabei, Sheila von ihrer Wache zu erlösen – erreichten wir den zweiten Meilenstein: Es sind nun weniger als 2000 Seemeilen bis Nuku Hiva. Grund genug, Maya aus ihren Federn zu holen. Nach der kleinen Nachtparty ging es für die beiden ins Bett. Ich verbrachte meine Wache wie immer im Cockpit und kämpfte vergeblich gegen die allnächtlichen Heißhungerattacken auf süße Kekse.
In den frühen Morgenstunden ließ der Wind stark nach. Wir hatten Mühe, 5 kn Fahrt zu halten. Die Segel sind maximal ausgerefft. Glücklicherweise kam der Wind nach wenigen Stunden zurück, blies jetzt jedoch südlicher. Wir setzten unseren Kurs etwas mehr nach Norden. Die Idee dahinter ist, bei ausreichend Wind mehr raumschots zu segeln und bei schwächeren Wind mehr halbwind . So können wir zum einen bequemer segeln, da die höheren Wellen bei stärkerem Wind mehr achterlich kommen, zum anderen sind bei schwachem Wind auf einem Halbwindkurs schneller.
Den Tag verbrachten wir mit diversen Spielchen. So versuchten wir uns auch an „5 in einer Reihe“ zu dritt und entwickelten eine mehrsprachige Version von „Name, Stadt, Land“. Den meisten Spaß haben wir jedoch nach wie vor mit Uno und der allabendlichen Folge ‚Big Bang Theory‘ .
Beim abendlichen Reffen verklemmte sich zum zweiten Mal das Lazyback im vorderen Block des Reff 1. Dieses Mal so fest, dass ich mit vollem Körpereinsatz am Lazyback ziehen musste, bis ich nur noch daran hing. Es dauerte fast 10 Minuten bis der Block es wieder freigab. Glücklicherweise war es nur ein vorsorgliches Reffen. Wir müssen mehr nach vorn schauen, wenn wir Segelmanöver durchführen. Im Ernstfall hat man nicht so viel Zeit.
28.02.21 Halbe Strecke
Mit 145 sm in den letzten 24 Stunden hatten wir wieder einen guten Segeltag. Bereits vor 8:00 Uhr haben wir die Hälfte der Strecke hinter uns. Ein gutes Gefühl!
Abwechslung brachte heute eine durchgerostete Blechdose. Ihr Inhalt breitete sich in einem der Lebensmittelbunker aus, der Geruch im ganzen Salon. Gut, dass der Wind so weit aus Süden weht. Dadurch lag die Aurelia auf dem Steuerbordbug und verhinderte so ein Umherfliegenden der herausgenommenen Dosen. Selbstverständlich war der Übeltäter in der hintersten Ecke versteckt, so dass alles ausgeräumt werden musste.
Eine weitere Abwechslung bescherte uns Sheila. Beim Aufstehen und Anlegen ihrer Rettungsweste blieb sie am Batterienotschalter hängen und schaltete die gesamte Bordelektrik ab. Das ist auch schon einigen anderen passiert. Vielleicht sollte ich ihn doch ein wenig gegen unbeabsichtigtes Ausschalten sichern.
Durch den Stromausfall fiel der Autopilot aus. Gut, dass wir das Steuern von Hand unter Segeln trainiert hatten. Maya war schnell zur Stelle und übernahm das Ruder. Später nutzten wir dann die Windsteueranlage und konnten die Beine durch die arretierten Steuerräder stecken, bis sich der Tag mit einem weiteren schönen Sonnenuntergang verabschiedete.
01.03.21 Ein ganz normaler Tag
Erneut lag unser Etmal deutlich über 130 sm. Wenn es so weitergeht, sind wir halbwegs zügig in den Marquesas. Wir nähern uns langsam unserem persönlichen Point Nemo, also dem Ort, an dem wir uns am weitesten entfernt von allen Küsten befinden.
Die Tage fangen an, sich sehr zu gleichen. Glücklicherweise schlägt sich das nicht auf die Stimmung nieder. Wir haben nach wie vor einen guten Mix an individueller und gemeinsamer Zeit. Die abwechslungsreichen Mahlzeiten, regelmäßige Serien- bzw. Film-Abende sowie das Ende der jeweiligen Wache sind immer wieder Termine, auf die man sich freut. Bei mir kommen noch die Rituale rund um das Segeln hinzu: Die 8:00 Uhr und 18:00 Uhr Blogeinträge und der 17:00 Uhr Rundgang sind immer wieder ein Anlass, sich über den Segelfortschritt oder das Ausbleiben technischer Fehler zu freuen.
Aller drei Tage hole ich einen Wetterbericht via Iridium ab. Die Freude darauf hält sich aber in Grenzen. Zum einen ist der Empfang schlecht, sobald ein paar Wolken am Himmel sind. Zum anderen ist die Aussagefähigkeit des Wetterberichts gering. Lediglich die Großwetterlage lässt sich gut beurteilen. Für die lokalen Gegebenheiten verlässt man sich besser auf das Bauchgefühl, welches sich im Laufe der Zeit anhand der Wolken, des Windes und des Seegangs entwickelt.
Ein paar Dinge waren heute dann doch anders als sonst: Da wir nun zügig auf französisch-sprachiges Gebiet zusteuern, haben wir alle drei versucht, gemeinsam an unseren Französich-Kenntnissen zu arbeiten. Was soll ich sagen, es ist zäh, sehr zäh. Passend zum Sprachkurs haben wir uns zwischen Abendessen und Nachtwache die erste Hälfte von „The Da Vinci Code“ angeschaut.
02.03.21 Patenthalse
Im Laufe einer langen Segelreise passiert es jedem einmal, dass er sich versteuert. Heute Nacht war Maya an der Reihe. Da in den Nachtstunden der Wind stark nachließ und die Segel wieder anfingen zu schlagen, wollte sie den Kurs korrigieren. Das führte jedoch nicht zum Erfolg. Also änderte sie den Kurs immer weiter und war fest davon überzeugt, die richtige Richtung gewählt zu haben. Irgendwann standen beide Segel back. Nur der Bullenstander bewahrte uns ächzend vor einer Patenthalse. Sie wollte mich gerade rufen, doch dank meines Popometers stand ich bereits im Cockpit.
Ich brauchte erst mal etwas Zeit, um die Lage zu verstehen. Die Müdigkeit macht uns halt langsam. Wir gingen mit dem Motor auf den richtigen Kurs, stellten belustigt fest, dass es bei den gröberen Steuerfehlern jetzt 1:1:1 steht, dann ging ich wieder ins Bett. Genauer gesagt, auf die Saloncouch. Auf See schlafe ich nicht in der Bug-Kabine. Dort schaukelt und stampft es mir einfach zu viel.
In meiner Morgenwache konnte ich drei Planeten, die der Sonne vorauseilen, besonders gut beobachten. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich denke, es sind Neptun, Saturn und Merkur. Die Venus ist ganz in der Nähe, aber zu nah an der Sonne. Daher ist sie in diesen Tagen gar nicht zu sehen.
Die Blöcke der Aurelia, die die Leinen an ihre richtige Position führen, fingen immer mehr an zu quietschen. Sheila lernte auf einem anderen Boot, diese regelmäßig mit Süßwasser zu spülen. Sie schnappte sich Maya und reinigte alle erreichbaren Blöcke. Das Ergebnis war verblüffende Ruhe. Lediglich im Baum bezeugten ein/zwei unerreichbare Rollen akustisch ihre Existenz. Ich hatte bisher meist Teflonspray oder WD40 verwendet. Funktioniert ebenfalls, aber nicht so andauernd und bei weitem nicht so schonend für Umwelt und Brieftasche. Man lernt halt immer was dazu.
Am Abend gönnten wir uns den zweiten Teil des gestrigen Films. Natürlich musste genau zu dieser Zeit der Wind ständig seine Richtung ändern. Also sprang ich mehrmals ins Cockpit und nahm die notwendigen Änderungen vor.
03.03.21 Zweite Zeitumstellung
Der Morgen brachte Gewissheit: Der schwache Wind bescherte uns ein Etmal von nur 105 sm. Es sind noch etwa 1500 sm bis Nuku Hiva. Wenn es bei dieser Durchschnittsgeeschwindigkeit bleibt, würden wir erst am 18.3. ankommen. Wir haben uns zwar inzwischen auf 8° 30′ Süd herangearbeitet, sind also fast auf der gleichen Höhe wie Nuku Hiva, aber ein stabiler Passatwind ist nicht in Sicht. Zumindest haben wir heute die zweiten 15° Richtung Westen absolviert. Zeit für eine weitere Zeitumstellung. Sie liegt jetzt bei UTC – 8h.
Die Crew lenkte mich von meinen Geschwindigkeitssorgen mit ein paar Spielchen ab. Später versuchten wir uns erneut an ein paar Französisch-Vokabeln. So ging der Tag schnell vorbei und verabschiedete sich mit einem romantischen Sonnenuntergang. Irgendwie bekommt man sie einfach nicht über.
Zu guter Letzt gab es noch Spirelli Carbonara. Wer wird sich da noch über schwache Winde ärgern?
Somit geht nun auch schon die dritte Woche auf See zu Ende. Wir haben fast 2400 Seemeilen im Kielwasser. Jetzt sind es nur noch etwas mehr als 1400 – nicht mal mehr eine Atlantiküberquerung. Es geht voran!