Pazifiküberquerung – 2. Woche
Nach den mühsamen 630 Seemeilen der ersten Woche, in denen wir die Calm-Zone und Galapagos passierten, sollte es nun schneller voran gehen. Jetzt gilt es, möglichst schnell den 8. Breitengrad zu erreichen. Dort sollen uns die Passatwinde konstant und zügig nach Westen tragen.
18.02.21 Ohne Motor
Seit gestern Abend bläst der Wind stabil aus Südwesten. Zwar noch nicht sehr stark, aber immerhin so, dass wir den Motor den ganzen Tag nicht ein einziges Mal einschalten mussten. Unser Etmal liegt endlich über 100 sm. Wir setzten die Segel ohne Reff und richteten unseren Kurs überwiegend nach dem Wind aus. So konnten wir die maximale Geschwindigkeit aus ihm herausholen. Ein idealer Tag für die Windfahne, die nun endlich zum Einsatz kam.
Es war ein schönes Gefühl, den Wind und das Rauschen des Wassers unter dem Rumpf zu hören, ohne dass es vom Motorengeräusch überdeckt wurde. Sie Segel standen wie eine Eins. Der Seegang war nicht mehr in der Lage, sie zum Einfallen zu bringen.
Maya genoss den Tag mit einem Buch, Sheila die Sonne auf ihrer Haut und ich sie auf dem Solardach. Ständig warf ich einen Blick auf die App, um mich zu vergewissern, dass es tatsächlich so viel war. Es reichte endlich auch für ein paar Stunden Watermaker.
Als am Abend die Sonne hinter dem Horizont verschwand sahen wir ein größeres Fischereischiff ohne AIS, obwohl es bei dieser Größe eigentlich vorgeschrieben ist. Man muss also davon ausgehen, dass es eines der ca. 1200 illegalen Schiffe auf den Ozeanen ist, die ohne Rücksicht auf die vereinbarten Fischfangquoten ihren Reibach machen. Irgendwo und -wann müssen sie jedoch wieder an Land. Eine Schande, dass man sie dort nicht kontrollieren möchte. Noch wütender kann man werden, wenn man an den potentiellen Zusammenhang erkennt, dass diese “schwarze Flotte” die somalischen Fischer in die Piraterie getrieben hat.
19.02.21 Anglerpech
Ständig zunehmender Wind hat uns ein Etmal von 120 sm beschert. Wir sind mittlerweile auf einen SW-Kurs gegangen. Das GPS zeigt bereits 4,5° Süd. Wenn wir diesen Kurs beibehalten können, landen wir genau an der südlichen Ecke eines Gebietes, das Jimmy Cornell in seinen “Segelrouten der Welt” als Region mit instabilem Wetter bezeichnet hat. Mit der Biskaya hatte er in 2019 nicht unbedingt Recht. Auch hier deckt sich seine Aussage nicht mit der aktuellen Wetterprognose. Es ist aber ohnehin der günstigste Kurs. Also nehme ich diesen Vorteil gern mit, auch wenn er wahrscheinlich nahe Null liegt.
Seit nunmehr einer Woche bringen wir im Morgengrauen ein oder zwei Leinen aus, um einen Fisch zu fangen. Wir sind alle keine Profis darin, aber insbesondere Sheila würde sich unheimlich über einen Fisch freuen. Sogar Maya, die eigentlich vegetarisch lebt, würde davon ausnahmsweise etwas essen. Fast hätten wir es heute geschafft. Dann war aber doch nichts an der Leine und später verloren wir auch noch einen Köder. Ärgerlich. Glücklicherweise war er aus Metall. Zwar lackiert, aber nicht so umweltschädlich wie einer aus Plastik. Stattdessen gab es ein leckeres Bananenbrot, welches Maya heute mit dem überschüssigen Solarstrom backen konnte.
20.02.21 Funkkontakt
Die Nacht war ruhig. Das sicherheitshalber eingezogene 1. Reff wäre nicht notwendig gewesen. Aber das weiß man halt erst hinterher. Daher bleib ich dabei, nachts etwas konservativer zu segeln. Safety First! Dank der guten Bedingungen gönnte ich mir während meiner Schicht ein paar kleine Schlafintervalle und wurde prompt von Maya dabei ertappt:
Der Tag verlief recht reibungslos, außer für die Logge. An ihr hat sich wohl wieder etwas verfangen. Das kleine Rädchen zur Messung der Geschwindigkeit (Fahrt durchs Wasser) steht nun still. Für mich heißt das ab sofort, die Stärke und Richtung des wahren Windes (TWS und TWD) sowie den Versatz durch Wind und Strömung zu schätzen. Immerhin habe ich noch die GPS-Geschwindigkeit (Fahrt über Grund) zur Verfügung. Mit ihr könnte ich zumindest TWS und TWD ausrechnen. Auf Dauer macht das aber keinen Spaß.
Nach fast 10 Tagen auf See war inzwischen so viel Routine eingekehrt, dass wir uns einen weiteren Filmabend im Salon gönnen wollten. Wie an jedem anderen Tag bereiteten die Mädels ein wohlschmeckendes Abendessen, während ich mich auf meine tägliche Runde machte, um das Schiff auf Verschleiß hin zu untersuchen. Dabei kontrolliere ich nicht immer alles und nicht immer das Gleiche. Es gibt einfach zu viel: Rigg, Segel, Leinen, Knoten, Schrauben, Motor, Windsteueranlage, Solardach, Reeling, Furler, Blöcke und so weiter. Bisher lief alles gut, aber die Atlantiküberquerung hat gezeigt, dass es ohne nicht geht.
Kurz vor dem Abendessen erschien dann ein AIS-Signal auf dem Bildschirm. Der Empfang funktioniert also noch. Als wir der MAERSK BINTAN näher kamen, funkte ich sie an. Schließlich hatte das AIS eine Annäherung auf wenige Meter errechnet. Schön, einmal eine andere Stimme zu hören. Mit nüchterner Professionalität tauschten wir einige Informationen aus. Es war auch eine gute Gelegenheit herauszubekommen, ob mein AIS ordnungsgemäß sendet. Das Containerschiff war wohl etwas verblüfft, ein Segelboot mitten auf dem Pazifik zu treffen und erkundigte sich nach unseren Reise-Daten, die das für Segelyachten übliche AIS Class B ja nicht beinhalten. Dazu gehören z.B. Ankunftshafen und Ankunftszeit (ETA). Letztere Abkürzung ist mir zwar geläufig, ich tat mich aber schwer, dies über Funk zu verstehen.
Sheila und Maya lachten sich im Hintergrund kaputt. Zunächst war mir nicht klar warum. Später erklärten sie mir, dass sie ganz verblüfft von der nüchternen Art des Austausches waren. Sie hätten ganz anders gefunkt und erst einmal einen Small-Talk betrieben.
Nach dieser willkommenen Abwechselung konnte ich mit der Gewissheit über ein funktionierendes AIS mit den beiden einen gemütlichen Filmabend genießen. Natürlich half dabei auch die Remote-App auf der ich das Geschehen draußen auf dem Handy verfolgen konnte.
21.02.21 Schlafdefizit
Durch den gestrigen Kinoabend verkürzten sich unsere Wachen auf 3x 3 Stunden. Meine ersten 3 Stunden fühlten sich ewig an. Es kamen einige Regenzellen an, die es optimal auszusteuern galt. In Mayas Schicht frischte der Wind auf. Eigentlich alles noch im Rahmen, aber mein Hosenbodensensor weckte mich auf Grund der geänderten Geräusche und Krängung auf. Auch in Sheilas Schicht war nicht an Schlaf zu denken. Erst drehte der Wind so stark, dass wir fast nach Norden fuhren und wenden mussten. Dann fiel der Wind in sich zusammen. Wir mussten die Segel bergen.
Nach dieser schlaflosen Nacht, wäre ich froh gewesen, einen ruhigen Segeltag zu haben. Statt dessen mussten wir zunächst den Motor einsetzen. Später frischten der Wind und die See so stark auf, dass wir den Plan, zügig bis zum 8. Grad Süd zu segeln, aufgaben und direkten Kurs auf Nuku Hiva nahmen.
Zu guter Letzt fuhren wir ca. 10 m an einem kühlschrankgroßen weißen Objekt vorbei, das dicht unter der Oberfläche schwamm.
Der morgendliche Regenbogen war das einzige Foto, das wir an diesem Tag schossen. Mit einem weiteren leckeren Abendessen und der ersten Folge einer berühmten Serie über Physik-Nerds ging der Tag versöhnlich zu ende.
22.02.21 Erster Defekt
Seit gestern Abend haben wir stabile Windverhältnisse und kommen sehr gut Richtung Nuku Hiva voran. Trotz der Flautestunden am gestrigen Morgen schafften wir 126 sm in den letzten 24 Stunden. Auch der Akkustand war überraschend gut. So konnte ich noch am Morgen mit den 48V-Lithiumakkus der Solaranlage die 12V-Service-Batterien vollständig aufladen (s. a. Energie auf See).
Noch viel wichtiger: Ich bin ausgeschlafen. Nach dem Intervallschlaf während meiner Schicht konnte ich dank der konstanten Bedingungen während der Wachen von Maya und Sheila tief durchschlafen.
Der Morgen begann dann mit dem Ende von Sheilas Schicht, in dem wir bei einem Kaffee den Sonnenaufgang genossen. Danach holte ich meinen Rundgang von gestern nach und entdeckte einen gebrochenen Mastrutscher. An sich ist das kein Problem, ich habe genügend Ersatz für diese Sollbruchstelle, die das Segel vor Beschädigung schützen. Doch dieses Mal war es der Rutscher am Kopf des Segels. Er war fest vernäht. Das wird eine etwas größere Reparatur. Zunächst holte Sheila die Ersatzteiltasche aus dem Stauraum hinter ihrer Kajüte. Dann band ich mich mit zwei Lifelines am Mast fest, um beide Hände für die Arbeiten am Segel frei zu haben. Während mir Sheila am Mast assistierte, reichte Maya die jeweils notwendigen Werkzeuge durch die Salonluke. Mit dieser tollen Teamarbeit war der neue Rutscher ruck-zuck an seinem Platz.
Nachdem das Segel nun wieder ordnungsgemäß seinen Dienst versieht, geht es mit 6-7 Knoten Fahrt recht zügig voran. Die Sonne scheint, wir haben ca. 18 kn achterlichen Wind, die Wellen lassen sich komfortabel aussteuern – ein fast perfekter Segeltag. Lediglich die Spray versalzt uns zwar nicht den Tag, aber das ganze Boot, einschließlich Cockpit und den USB-Anschluss meines Handys. Letzteres musste ich nun sorgfältig reinigen und trocknen. Den Rest des Tages vertrieben wir uns mit Essen kochen, Wasser machen, schlafen, lesen oder Podcast hören.
23.02.2021 – Trossen
Der Morgen sollte eigentlich wieder mit einem gemütlichen Kaffee beim Sonnenaufgang beginnen. Doch Sheila weckte mich bereits um 5:00 Uhr. Der angekündigte stärkere Wind ließ nicht mit sich verhandeln. Bis zu 28 Knoten Wind und vereinzelte steile 3m-Wellen forderten unsere volle Aufmerksamkeit. Für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie schnell ich mich an gute Segelbedingungen gewöhne und wie langsam an eigentlich noch gut segelbares Wetter. Wie dem auch sei, es ist ungemütlich.
Ab 7,5 kn Fahrt und starkem Ruderdruck nach Luv kommt noch ein gelegentliches Vibrieren hinzu, das ich bereits aus Portugal kenne. Wir reduzierten die Fahrt etwas, um unnötigen Verschleiß zu vermeiden. Gegen 9:00 Uhr konnte ich den neuen Wetterbericht via Iridium abholen. Der starke Passatwind wird noch weitere 1 ½ Tage anhalten. Eigentlich wäre das gar nicht so schlimm, nur leider kommt der Wind so weit südlich, dass wir die 7° Süd wohl ein weiteres Mal aufgeben müssen. Derzeit geht es mit einem Kurs von 283° leicht nach Norden. Wir experimentieren mit verschiedenen Kursen und Autopiloteinstellungen. Wir wollten herausfinden, wie wir bei diesen Bedingungen stressfrei und doch möglichst nah am optimalen Kurs durch die Nacht kommen.
Erst nach dem abendlichen Logbucheintrag fiel mir ein, dass ich auf dem Weg von Curacao nach Kolumbien das Trossen ausprobiert hatte und völlig begeistert davon war. Na immerhin rechtzeitig vor der Nacht. Also die alten Festmacher rausgeholt, aneinandergeknüpft und raus damit. Im Nu war der Kurs stabilisiert und der Autopilot bewegte das Ruder nur noch halb so viel. Damit war eine ruhige Nacht gesichert. Zu Beginn meiner Wache zog ich wieder mein Ölzeug gegen die Kälte an. Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, dass man so etwas nahe dem Äquator tun muss. Dank der Trossen und meiner warmen Kleidung konnte ich nun meinen Intervallschlaf weiter trainieren. 🙂
Einen weiteren Vorteil hatte der heutige nördlichere Kurs: Die Solaranlage war über lange Strecken unverschattet und bescherte uns einen Hochseerekord von knapp 5 kWh. Ausreichend für Bordelektronik, Kühlschrank, Watermaker und Mayas Freude am Kochen.
24.2.2021 – Meilensteine im Pazifik
Gut ausgeschlafen konnte dieser Morgen nun endlich wieder mit einer heißen Tasse Kaffee beginnen. Sheila zeigte mir ihre Nachtaufnahme vom Mond. Unglaublich, was sie mit ihrem Handy trotz des Seegangs hinbekommen hat:
Heut haben wir den 100. Längengrad erreicht. Damit ist die erste Zeitumstellung fällig. Aller 15 Grad müssen wir die Uhr um eine Stunde vorstellen. Für die Marquesas gibt es sogar eine Zwischenzeitzone UTC – 9:30 h. Aber bis dahin ist es noch ein Stückchen.
Der Seegang hat abgenommen, der Wind kommt inzwischen wieder aus Südwest und nicht Südsüdwest. Änderungen sind kaum in Sicht. Also stelle ich das Boot jetzt mehr auf Downwindsegeln ein. Zunächst kam der Spi-Baum an die Genua. Dann setzte ich den Kurs direkt auf Nuku Hiva. Mit dem aktuellen Setup können wir mit Windänderungen von +/- 20° gut umgehen. Daher richtet sich der Autopilot nun nicht mehr nach der Windrichtung, sondern führt das Boot schnurstracks Richtung Nuku Hiva.
Momentan deutet alles darauf hin, dass wir den direkten Kurs beibehalten können, selbst wenn wir später auf Passat- oder Schmetterlingsbesegelung gehen. Eine gute Gelegenheit, im Salon ein wenig nach Wegpunkten zu suchen, die man feiern kann. Folgende sind bisher zusammengekommen:
- voraussichtliche Halbzeit (7°28’S 105°50’W)
- halbe Strecke netto (tatsächlicher Weg) (7°34’S 108°18’W)
- halbe Strecke brutto (direktester Weg) (7°43’S 111°51’W)
- längste Distanz zur nächsten Küste (7°56’S 116°44’W)
- 2000 sm Restdistanz (7°41‘S 106°23’W)
- 1000 sm Restdistanz (8°13’S 123°05’W)
- Absendepunkt für die Gesundheitserklärung (8°39’S 135°34’W)
Die sieben sollten ausreichend sein, um eine der Rum-Flaschen zu leeren 😉. Interessanterweise ist der Punkt für die längste Distanz zu allen Küsten gar nicht so einfach herauszufinden. Es kommen nicht nur die erwarteten Galapagosinseln und die westlichste Insel der Marquesas in Frage, sondern auch Clipperton Island, Pitcairn und die Osterinsel. Nach meinen Berechnungen ist die Stelle, an der die Pitcairn-Insel und Clipperton gleich weit von uns entfernt sind, diejenige, an der wir mit ca. 1186 sm die größte Entfernung zu jedwedem Land haben. Vorher liegt Clipperton näher und später Pitcairn. Allerdings fehlen mir die Tools zur Berücksichtigung der Großkreisprojektion. Die an Bord befindliche Mercator-Karte ist zwar Winkel- aber nicht Maßstabsgetreu. Dadurch ist der berechnete Punkt nicht 100% genau.
So ging ein schöner, entspannter Segeltag schnell vorbei. Lediglich die Kälte setzte uns immer mal wieder zu und veranlasste uns zu diesem Teletubbie-Foto.
Mit diesem Tag geht nun auch die 2. Woche der Pazifik-Überquerung zu Ende. 1500 Seemeilen sind geschafft. Über 2300 liegen noch vor uns. Gern wären wir schon ein Stückchen weiter, aber den langsamsten Abschnitt sollten wir mit der ersten Woche hinter uns gebracht haben. Ich bin schon gespannt, was die dritte Woche für Überraschungen bereit hält.