Klein Curacao
Nach 220 Tagen am Steg wird es höchste Zeit für die Aurelia auszureiten. Gegen den Wind geht es aus dem Spanisch Water heraus zur etwa 15 Seemeilen entfernten Insel „Klein Curacao“. Wie wird es sein, das erste Mal allein zu segeln? Was gibt es auf der Insel zu sehen? Wie stark ist der Bewuchs am Rumpf nach so langer Liegezeit?
Allein gegen den Wind
Ablegen
Um 6:00 Uhr klingelt der Wecker. Es ist noch einiges zu erledigen und ich möchte unbedingt vor 9:00 Uhr ablegen. Bis dahin ist es in der Bucht noch recht ruhig. Später frischt der Wind auf und das Manövrieren aus der Gasse zwischen den beiden Stegen wird schwieriger. Seit meiner Abreise im Mai sind einige 15-Meter-Yachten eingetroffen. Sie machen den Weg noch etwas schmaler. Nach dem Frühstück und letzten Aufräumarbeiten legte ich zuerst die Festmacher auf Slip, so kann ich sie beim Ablegen von Bord aus einfach aus den Klampen des Stegs herausziehen.
Die Luken sind bereits geschlossen. Navigationsinstrumente und Funkgerät sind eingeschaltet. Motor an! Mein Plan ist es, zunächst mit dem Rückwärtsgang die Vorleinen zu straffen. So können alle anderen Leinen entfernt werden. Die Schwierigkeit dabei: Allein kann ich nicht zwei Dinge gleichzeitig erledigen. Entweder ich korrigiere das Ruder oder ich löse die Leinen. Also muss ersteres gut eingestellt und arretiert werden. Gesagt, getan. Anschließend wird das Ruder so gestellt, dass auch die leeseitige Vorleine, also die auf der vom Wind abgewandten Seite, gelöst werden kann. Als letztes wird dann die Luv-Leine gelöst. Dann bewegt sich das Boot so lange allein rückwärts, bis man entweder zurück am Steuer ist oder das Heck in das gegenüberliegende Boot kracht. Ich plante ersteres.
Gerade wollte ich die Leinen lösen, da kamen Denis und Natalie vorbei, ein freundliches Amerikanisch-Weißrussisches Pärchen. Sie lösten für mich die verbliebenen Vorleinen. Der Rest klappte wie am Schnürchen. Heck nach Backbord, Bug voraus ins Spanish Water. An einer günstigen Stelle verlangsamte ich die Fahrt soweit, dass der Autopilot gerade noch die Richtung halten konnte. Dann begab ich mich aufs Vorschiff und verstaute die Fender und Festmacher. Hier in der Bucht ist die See noch ruhig. Trotzdem brachte mich die Arbeit bei der mittlerweile wieder ungewohnten Schaukelei ins Schwitzen.
Segeln
Weiter ging es vorbei an den gut sichtbaren und auch auf der Karte dargestellten Untiefen hinaus auf die See. Nur ein klein wenig Sicherheitsabstand, dann setzte ich die Segel. Zunächst das Großsegel, und zwar im 2. Reff (viel kleinere Segelfläche). Bei 21 Knoten Wind wäre das nicht notwendig, aber warum soll ich es mir beim ersten Einhandsegeln schwer machen? Ein letztes Mal aufs Vorschiff, die Sicherung der Großfall lösen – den Rest kann ich vom Cockpit aus erledigen – dachte ich. Nach dem Setzen des Großsegels war die Genua dran. Auch sie wollte ich nur zur Hälfte ausrollen und dann erst mal in aller Ruhe hinaussegeln. Leider klemmte sie. Also noch einmal nach vorn. Dort war aber alles in Ordnung. Das erste Problem? Nach einem Ruck an der Rückholleine löste sich was auch immer und gab das Vorsegel frei.
Mit etwa 60° zum Wind begann das Segeln. Nachdem ich wieder ausreichend Puste hatte, genoss ich erst einmal diesen Moment, den es nur einmal gibt: Das erste Mal allein unter Segeln. Großartig!
So nach und nach tastete ich mich an den Wind heran. Je höher am Wind – also je spitzer der Winkel zu ihm – desto kürzer wird der Weg zum Ziel, welches sich ziemlich genau dort befindet, wo der Wind herkommt. Leider wird man dabei auch langsamer. Also muss man einen Kompromiss zwischen Kurs und Geschwindigkeit finden. Das ist eines der Dinge, die ich am Segeln liebe. Man muss sich den Gegebenheiten stellen und die richtige Balance finden. Gerade in der jetzigen Zeit, in der einem Fundamentalisten jedweder Art ihre Schwarz-Weiß-Ansichten aufs Auge drücken wollen, ist das eine Wohltat für mich.
Irgendwann musste ich mit dem Genießen aber aufhören. Schließlich will ich nicht nach Venezuela sondern nach Klein Curacao. Zeit für eine erste Wende. Die lässt sich auch allein ganz prima fahren, wenn man vorher die Genua-Schot etwas fiert (also aufmacht).
Nach ein paar Proben mit den verschiedenen Einstellungen des Autopiloten, der sich immer noch etwas störrisch gab, wurde es Zeit für den Einsatz der Windfahne. Sie steuert die Aurelia allein mit der Kraft des Windes. Die nächste Wende erfolgte ohne Autopiloten, nur mit der Windfahne und etwas manueller Unterstützung am Hauptruder. Klappt auch prima.
Der Wind ließ leicht nach. Laut Wetterbericht sollte dieser Trend anhalten. Zeit, auszureffen. Es ist zwar nicht so, als hätte ich es eilig, aber der Segeltrimm meines Hauptsegels ist im zweiten Reff sehr unschön anzusehen und damit auch nicht gut. Mit einer besseren Form lässt sich höher am Wind segeln und damit eine bessere VMG erreichen. (VMG = die Geschwindigkeit, mit der man sich auf das eigentliche Ziel hinzubewegt). Auch das klappte ohne Probleme. Langsam finde ich es unheimlich, wie gut es läuft. Stück für Stück tastete ich mich an den Wind heran und konnte den Wendewinkel leicht verbessern. Viel war es nicht, denn 1,5 Knoten Strömung aus der Richtung des Windes machten einen großen Teil des Erfolgs wieder zunichte.
Anlegen
Am liebsten hätte ich die Segel erst an der Mooring-Boje geborgen. Die Genua ist schnell eingerollt, aber das Bergen eines Latten-Groß braucht etwas Zeit, wenn man allein ist. Also runter damit. Zunächst bis zum ersten Reff, dann Reff-Leinen nachziehen, sonst baumeln gefährliche Schlingen im Cockpit. Dann das zweite Reff. Wieder nachziehen. Schließlich wird die Fall ganz geöffnet und es geht vor an den Mast. Mit ein paar kräftigen Zügen werden die restlichen Meter heruntergeholt und wechselseitig nach links und rechts gefaltet. Fertig. Schneller als gedacht. Nun muss ich doch noch 10 Minuten mit dem Motor bis zur Mooringboje tuckern. Ich hatte mir schon den Hook&Moore-Botshaken zurechtgelegt. Dessen Mechanik finde ich genial. Bisher kam er jedoch nie zum Einsatz. Auch diesmal nicht. Zwar kam ich direkt neben der Boje zum Stehen und konnte sie am seitlichen Ausgang fast mit der Hand erreichen, doch Thomas von der Lasavo, der einen Tag vor mir Richtung Klein Curacao aufbrach, war sofort mit seinem Dinghi zur Stelle und nahm die Leine entgegen, um sie an der Mooringboje zu befestigen. Nach sechseinhalb Stunden war der Törn vorbei. Nach einem Sprung ins 28° kalte Wasser gab es das verdiente Ankerbier mit Blick auf den Strand.
Erst jetzt merkte ich, dass ich doch ziemlich erschöpft war. Trotz des täglichen Fitnesstrainings in der Golfanlage spürte ich jetzt schon einige Muskeln. Mir schwante, wie sich das morgen anfühlen wird. Den Versuch, das Dinghy fertig zu machen und an Land zu fahren, endete nach dem Befestigen des Elektromotors. Noch bevor ich seinen Akku einsetzen konnte, war meiner endgültig alle. Nach einem wunderschönen Sonnenuntergang verschwand ich in meiner Koje.
Morgen ist auch noch ein Tag! Oder wie ich im Spanisch-Kurs gelernt habe: Mañana, mañana!
Die Insel Klein Curacao
Wie erwartet, begann der nächste Morgen mit einem fürchterlichen Muskelkater. Ich kann gar nicht richtig beschreiben, wo überall. Nach einer Runde um die Aurelia und zwei starken Tassen Kaffee kam ich langsam in Schwung. OK, der Fischer mit seinem übel riechenden Diesel vor meiner Nase half auch, wach zu werden.
Den Morgen auf einer einsamen Insel hatte ich mir anders vorgestellt. Der Eindruck sollte sich im Laufe des Tages noch verstärken, was den Charme der Insel jedoch nicht schmälert. Also Dinghy fertig machen und los!
Geschichte
Bevor sich der Mensch hier einmischte, war Klein Curacao eine Vogelinsel. Zahlreiche Arten lebten hier und hinterließen jede Menge Dünger, die für die Pflanzen auf dem kargen Boden unerlässlich waren. Zuerst zerstörte die Westindien-Kompanie dieses Gleichgewicht. Vom 17. bis Anfang des 19. Jahrhunderts kippten hier Europäer afrikanische Sklaven ab, damit sie nach der Quarantäne-Zeit in Curacao ihren Dienst verrichten konnten. Glücklicherweise haben wir diese unserer dunklen Seiten abgelegt und glücklicherweise haben uns ihre Nachkommen, die heute noch die Mehrheit der Bevölkerung von Curacao darstellen, diese verziehen. Auch, wenn Sie heute noch an den Folgen zu knabbern haben. Wenn unsere kurzsichtigen Multikulti-Ist-Gescheitert-Anhänger bis hierher schauen könnten, würde sie vielleicht erkennen können, welchen menschenverachtenden Schwachsinn sie verbreiten.
Hass, Habgier und Angst haben vor allem uns Europäer immer wieder dazu gebracht, ganze Volksgruppen auszurotten anstatt von und mit ihnen zu lernen. Viel weiter sind wir heute leider auch noch nicht. Immer noch stellen zu viele nur den Mensch, vorzugsweise den aus der eigenen Kultur, in den Mittelpunkt, anstatt beispielsweise von den Naturvölkern zu lernen, sich im Einklang mit der Natur durch die Zeit zu bewegen.
Umwelt
Im 19. Jahrhundert begann man in Europa, Phosphate für Dünger zu nutzen und baute sie ohne Rücksicht auf Klein Curacao ab. Das war das Ende der Vogelinsel. Bis heute gibt es nur noch wenige Pflanzen und Vögel. Diese kleine Senke lässt ein wenig erahnen, wie es früher ausgesehen haben könnte:
Lediglich die Unterwasserwelt scheint noch intakt. Es gibt seltene Meeresschildkröten, die hier nach wie vor ihre Eier legen.
Allerdings fand ich auf der dem Atlantik zugewandten Ostseite der Insel tausende kleine Plastikschnipsel und größeren Müll. Erstere stammen sicherlich nicht von Curacao und auch nicht von Bonnaire oder dem weniger nahen Trinidad. Auf Grund der Zerkleinerungsstufe müssen sie meines Erachtens aus dem Atlantik kommen. Wenn dem so ist, hat die Natur ein riesen Problem mit uns und wir sind noch Meilen entfernt davon, die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Eigentlich braucht man gar nicht bis zum Atlantik zu schauen. Man muss nur daheim mal ein paar Meter an einer Straße entlanglaufen und einen Blick auf den Straßenrand werfen. Ich würde mal tippen, dass man auf 100 Metern locker auf ein Kilogramm Müll kommt. Bei einer Straßennetzlänge von etwa 230.000 Kilometern sind das bereits 2.300 Tonnen, allein am Straßenrand, auf einer Seite!
Tourismus
Ich finde es gut, dass die Insel von Touristen besucht werden kann. Hier kann man auf kleinem Raum viele Zusammenhänge erkennen und verstehen. Auf der ruhigen Westseite der Insel gibt es einige freie Mooring-Bojen, die zum Anlegen einladen. Aber wie bei so vielem, übertreiben wir es vielleicht auch hier. Jeden Tag kommen Partyboote und Schiffe voller Touristen an.
Auf einem Teil des Strandes befinden sich mehrere kleine Camps der jeweiligen Tourismus-Firmen. Ich hoffe, sie bleiben darauf begrenzt, sonst haben auch die Schildkröten schlechte Aussichten.
Wracks
Zurück zur Ostseite. Hier liegen zwei Schiffswacks wie Mahnmale für schlechte Seemannschaft. Das Frachtschiff hat die Insel wohl übersehen. Vielleicht hat er nicht die Karte mit dem kleinsten Maßstab benutzt. Die Crew der Yacht wollte vielleicht auch mal versuchen, auf der Luv-Seite der Insel anzulegen. Ging dann wohl schief. Beide Crews überlebten das jeweilige Unglück.
Leuchtturm
Das wohl prägnanteste Wahrzeichen von Klein Curacaos ist sein Leuchtturm. Es ist bereits der zweite der Insel. Der erste wurde bei einem der hier sehr sehr selten auftretenden Hurricanes 1877 zerstört.
Küstenwache
Als wir mit Stefan im Februar des Nachts von Bonaire nach Curacao segelten, trauten wir der Insel nicht über den Weg. Sie war als verlassene Insel beschrieben und ich meine auch, von Sicherheitsbedenken auf Grund der Nähe zu Venezuela gelesen zu haben. Dass dies nicht ganz unbegründet zu sein scheint, zeigen ein Flugzeug und ein Hubschrauber der Küstenwache, die hier ein bis zwei Mal pro Tag vorbeischauen.
Rumpf reinigen
Am nächsten Tag wurde es Zeit, sich um das Unterwasserschiff zu kümmern. Um den weichen Silikon-Anstrich nicht zu zerkratzen, nahm ich mir die lackschonende Autobürste, die ich extra für diesen Zweck bereits in Frankreich mit an Bord gebracht hatte. Im ersten Anlauf konnte ich eine Menge Algen entfernen. Zu meinem Entsetzen kam darunter ein dichter, kalkhaltiger Bewuchs zum Vorschein, der sich nicht mehr abbürsten ließ.
Frustriert ging ich zurück auf’s Schiff. Für so lange Aufenthalte in einer ruhigen Marina mit wenig Wasseraustausch ist dieser ungiftige Anstrich nicht gemacht. Immerhin waren es mehr als sieben Monate.
Erst in der kommenden Nacht rang ich mich dazu durch, es mit einen weichen Schaber zu versuchen. Am nächsten Morgen nahm ich den Pfannenheber aus dem Küchenschrank und machte mich an die Arbeit.
Der größte Teil ließ sich leicht entfernen. Einige hartnäckige Stellen mussten mit etwas mehr Krafteinsatz abgeschabt werden. Das wird leider nicht ganz ohne Kratzer im weichen Lack abgegangen sein. An diesen wird sich künftig neuer Bewuchs leichter festsetzen können. Dennoch hoffe ich, ohne einen weiteren kostenintensiven Anstrich zurück in die Heimat zu kommen. Nach mehreren Pausen wurde ich bis zum Abend fertig.
Insgesamt macht der 20 Monate alte Anstrich nun wieder einem guten Eindruck. Wenn man mit der Hand über ihn fährt, ist er nach wie vor weich und „glitschig“.
Ruder und Kiel sind noch bewachsen. Da mein Schnorchel kaputt ging, war ein Abtauchen zu mühsam. Vielleicht finde ich noch einen Tauchbuddy. Dann würde es mit der Tauchausrüstung, die ich an Bord habe, noch besser klappen. Meine leere Flasche konnte ich ja bereits vor einigen Tagen dank Thomas Tauchkompressor auf der Lasavo auffüllen.
Kalibrierung des Autopiloten
So schnell können drei Tage vergehen. Die letzte Nacht kündigte sich mit einem weiteren fantastischen Sonnenuntergang an.
Nun ist Donnerstag und damit Zeit, zur Marina zurückzukehren. Lage und Wetter laden dazu ein, ohne Motor abzulegen. Zur Kalibrierung des Autopiloten musste ich ihn dennoch einschalten. Nach einem Probekreis kalibrierte ich zunächst den Ruderausschlag, anschließend Kompass und Heading. Mit „Heading“ ist gemeint, dass das der Autopilot genau weiß, wohin die Spitze des Bootes zeigt. Dazu muss man in einem festgelegten Zeitfenster einen Vollkreis fahren.
Nach dem das erledigt war, probierte ich den Autopilot aus und siehe da – er funktioniert perfekt. Bis zur Marina gab es keine einzige unverständliche Richtungsänderung mehr. Es gibt noch zahlreiche weitere Parameter, die ich einstellen und kalibrieren kann. Das ist aber nicht ganz unproblematisch und kann hoffentlich entfallen.
Gemütliche Rückfahrt
Mit nur 9 bis 10 Knoten Rückenwind wurde es eine sehr gemütliche Rückfahrt. Ich befestigte die Genua am Spibaum, damit sie mir durch den Seegang nicht immer wieder einfällt. Nach ein paar Trimmübungen mit dem Toppnant, der den Spibaum auf der richtigen Höhe hält, stand die Genua wie eine Eins und zog die Aurelia mit 3 bis 5 Knoten zurück zum Spanisch Water.
Kurz vor der Einfahrt rollte ich sie ein und motorte durch die enge Einfahrt. Die letzten 500 Meter vor der Marina reichten bei langsamer Fahrt aus, Fender und Leinen klarzumachen. Der geringe Wind machte es mir leicht, an meinen Finger-Steg zu fahren. Dort wartete bereits ein hier lebender Venezulaner und half mir beim Festmachen. Damit geht mein erster Single-Hand-Törn auch schon zu Ende. Ich freue mich schon auf den nächsten. Am 8. November geht es auf in die Santa Cruz Bay.
2 KOMMENTARE
Hej Lillebror,
ich beneide dich um deine Freiheit. Genieße sie, ich gönne sie dir von Herzen.
Ich wünsche dir weitere tolle Erlebnisse und freue mich auf die nächsten Berichte.
Låt det gå bra med dig!
Din Storasyster
Servus Jörg,
bin neidisch, hier hats 5 Grad, Nieselregen und grau in grau… ich buch mal grad den nächsten Flug, dann bin ich rechtzeitig für das nächste gemeinsame Essen auf Santa Cruz bei Dir 🙂 grüß mir den lustigen Restaurant Inhaber!
Dir weiterhin eine schöne Zeit!
Stefan