Wir passieren den Suezkanal
Am 4. März 2022 legten wir in Port Ghalib ab, um uns auf den Weg ins Mittelmeer zu begeben. Dabei passieren wir den Suezkanal. Wird er ähnlich aufregend, interessant und emotional wie der Panama-Kanal?
Im nördlichen Roten Meer
Die 120 Seemeilen durch die offene See des Roten Meeres lassen sich grob in zwei Teile untergliedern. Die ersten 1 1/2 Tage kreuzten wir noch einmal 125 sm unter Segeln gegen den Wind. Unterm Strich kamen wir dem Ziel aber nur 65 sm näher. Als der Wind uns verließ, musste für die restlichen 60 Seemeilen der Motor für Vortrieb sorgen. Trotz des fehlenden Nordwindes war es bitter kalt, so dass meine Lilia-Notfall-Decke wieder zum Einsatz kam.
Motoren im Golf von Suez
Am Morgen des 6. März fuhren wir in den Golf von Suez ein. Er ist etwa 160 sm lang und im Mittel 18 sm breit. Eigentlich genügend Platz zum Kreuzen, wären da nicht unkartierte Untiefen, Wracks, Stümpfe alter Ölplattformen, der dichte Schiffsverkehr und die unglaubliche Kälte. Ich musste nicht lange grübeln, um die Entscheidung zu treffen, dicht an der inneren Linie des Verkehrstrennungsgebietes zu motoren.
Links und rechts säumten Ölplattformen den Weg. Von weitem sahen sie aus wie eine gigantische Wunderlampe Aladins.
Die notorische Linksfahrerei hat zwei Vorteile. Die Containerschiffe und Tanker sind allesamt viel schneller als wir. Die schnelleren unter ihnen überholen meist links und sind aufmerksamer als die Rechtsfahrer, die nicht immer damit rechnen, dass vor ihnen jemand noch langsamer ist. Zum anderen gibt es im Trennstreifen zwischen beiden Fahrspuren nur wenige Hindernisse. Es ist daher ein gutes Gebiet zum Ausweichen. Das musste ich auch einmal tun, als wir erneut wie in der Straße von Malakka Zeuge eines Elefantenrennens wurden.
Port Suez
Vor der Einfahrt
Der Wind nahm wieder zu. Meist wehte er uns entgegen. Nur selten konnten wir mit der Genua ein paar Prozent an Geschwindigkeit zulegen. Meist blieb es bei nur 2-3 Knoten Fahrt.
Je näher wir dem Hafen kamen, desto mehr Fischerboote tauchten auf. Offenbar bevorzugen die Fische das Kielwasser der großen Schiffe. Die Fischer kreuzten ständig unseren Weg und kamen uns hier und da näher, als mir lieb war.
Nach und nach erhöhte ich die Drehzahl des Motors um gegen Mittag in Suez anzukommen. Ich möchte auf keinen Fall in der Nacht durch den Kanal tuckern und in der schmalen Gasse der Marina einen Liegeplatz suchen.
Als wir pünktlich gegen Mittag im Port Suez ankamen meldeten wir uns beim Hafen-Dispatcher. Er dirigiert die ankommenden Schiffe zu den etwa 75 Ankerplätzen und managed den Verkehr der aus dem Suezkanal ein- und ausfahrenden Schiffe. Das alles geschieht allein über den UKW-Kanal 14. Wenn man bis hier noch nicht gelernt hat, den oft verzerrten Ton zu verstehen, ist man verloren.
Entgegen meiner Erwartung durften wir nicht zum Yachtclub. Zunächst wurde uns E1, einer der 700 Meter breiten Ankerplätze zugewiesen. Die Frage nach der voraussichtlichen Liegezeit blieb unbeantwortet. Es wurde bereits das nächste Schiff dirigiert.
Zwei sind einer zu viel
Wir ließen unseren Anker inmitten des E1-Kreises fallen. Nach den knapp 100 Stunden mit sehr wenig Schlaf war ich froh über die Pause. Einschlafen durfte ich jedoch nicht. Man musste hochkonzentriert den Kanal 14 abhören, um nicht zu verpassen, wenn man aufgerufen wird. Nach einigen Stunden hörte ich zwar nicht unseren Schiffsnamen, aber ein Tanker meldete sich mit dem Hinweis, dass auf dem ihm zugewiesenen Ankerplatz ein Segelboot läge und dieses doch bitte verschwinden möge.
Ich wollte gerade rausschauen, ob wir gemeint sind und vielleicht schon ein Bug über uns schwebte, da hörte ich “Aurelia, Aurelia, …. please move to Echo 3 immediately! Now!!”
Man hatte uns vergessen und den Ankerplatz erneut vergeben. Gut, das der Kapitän des knapp 300 m langen Tankers die Augen aufgehalten hatte. Wir verlegten uns auf E3 und gaben auf Kanal 14 erst Ruhe, als man uns einen Slot um 0:15 Uhr die Einfahrt zur Marina zuwies. Toll, genau das wollte ich vermeiden. Zumindest konnte ich jetzt für ein paar Stunden die Augen schließen.
Einfahrt in die Marina
Sicherheitshalber ließ ich den Funk an und hörte mit halbem Ohr zu. Kurz nach 23:00 Uhr wurden wir aufgerufen. Entweder wir brechen sofort auf oder wir müssen auf den nächsten Tag warten.
Eine Nachtfahrt in den Kanal ist mir immer noch lieber als nachts eventuell von einem 300m-Schiff übersehen zu werden. Um nicht in den Gegenverkehr zu geraten, mussten wir ordentlich Fahrt aufnehmen. Das funktionierte zunächst ganz gut. Doch kurz vor dem Port Suez Yacht Club schrillte der Motoralarm. “Bitte nicht jetzt!!!”, schoss es mir durch den Kopf. Wir schafften es gerade noch vor den Yachtclub, dann ging der Motor aus.
Kurz nachdem wir in der Finsternis unseren Anker fallen gelassen hatten, kam der Marina-Manager Kakar mit seinem Boot vorbei. Zunächst ließ er seinem Ärger freien Lauf, weil wir hier mitten in der Nacht auftauchen und er bereits geschlafen hatte. Dazu muss man wissen, dass er in der Marina lebt und derzeit der Einzige ist, der den Laden schmeißt. Er ist also 24×7 an 7 Tagen der Woche im Dienst. Ich zeigte Verständnis und erklärte ihm, dass wir ebenfalls frustriert sind, da der Hafen-Dispatcher uns nicht eher reingelassen hat. Schließlich half er uns, die Aurelia zwischen zwei Mooring-Bojen festzumachen. Der Motor sprang zwar noch einmal an, gab aber erneut an Alarmsignale von sich.
Gegen 2:00 Uhr lagen wir endlich in der Koje.
Port Suez Yacht Club
Am nächsten Morgen besuchte uns der Agent, um die Vorbereitungen für die Durchquerung des Suezkanals zu treffen. Wir hätten sofort am nächsten Morgen starten können, doch zunächst musste ich das Motorproblem finden und beseitigen. Auch das Wetter sah nicht besonders gut aus. Starker Nordwind wehte direkt in den Kanal hinein. Also entschieden wir uns, über das arabische Wochenende hier zu bleiben und erst am Sonntag zu starten.
Die Fehlerquelle am Motor war schnell gefunden. Ich hatte erst kürzlich den Diesel-Vorfilter entwässert, jedoch den Filtereinsatz mangels Ersatz nicht gewechselt. Er war inzwischen durch den schlammigen Diesel, den wir in Indonesien getankt hatten, vollends verstopft. Einen Ersatz hatten wir immer noch nicht, aber mit etwas Diesel und einem Pinsel sollten wir den Filter bis zum nächsten Tausch ausreichend reinigen können.
Mittels Durchflussmessung an der Dieselpumpe ließ sich nach der Reinigung ein Volumen von etwa 10 Liter pro Stunde hochrechnen. Unser Verbrauch liegt bei maximal 3 Liter pro Stunde. Das sollte für die nächsten Wochen ausreichen.
Die weiteren Tage nutzen wir, um uns von der anstrengenden Fahrt zu erholen, Wäsche zu waschen und ein wenig am Blog zu arbeiten.
An Land durften wir nicht. Wir hatten bereits in Port Ghalib ausklariert. Andernfalls wäre es hier sehr kompliziert und teuer geworden. Lediglich zum Bezahlen von Agent und Marina durfte ich kurz den Steg betreten.
Kakar besuchte uns hin und wieder. Er brachte nicht nur den bestellten Diesel, sondern auch unaufgefordert mal ein Frühstück, mal ein paar Früchte. Im Gegensatz zu den Erfahrungen anderer kamen wir super mit ihm zurecht. Natürlich will auch er hier und da einen Dollar verdienen, aber für ägyptische Verhältnisse war er damit sehr zurückhaltend. Hin und wieder tranken er einen Kaffee mit uns. Dann nutzten wir die Zeit, um uns auch ein wenig über die Lage in Ägypten und Deutschland auszutauschen.
Hier in Ägypten sind die Lebensmittelpreise mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine stark gestiegen. Für den durchschnittlichen Ägypter, der einen hohen Prozentsatz seines Einkommens für Lebensmittel ausgibt, wird die Lage schon jetzt existenzbedrohend. Nicht auszumalen, wie das bei anhaltender Kriegslage im nächsten Winter aussehen wird. Durchaus denkbar, dass die ohnehin fragile soziale Ruhe in Ägypten und vergleichbaren Ländern im nächsten Herbst ins Wanken gerät. Ob das die politischen Falken aller Seiten auf dem Radar haben?
Durch den Kanal bis Ismailia
Am frühen Sonntagmorgen des 13. März kam der obligatorische Pilot an Bord. Ohne ihn darf man nicht in den Kanal einfahren. Mag sein, dass unser Pilot im Ernstfall eine Hilfe bei der Kommunikation mit den Mitarbeitern des Kanals gewesen wäre. Seine Hilfe bei der Navigation lag jedoch bei Null. Das einzige Wort, das er verstand, war “OK”. Nicht einmal für “Yes” und “No” reichte es. Selbst mit einer Übersetzung ins Arabische war ihm nichts sinnvolles zu entlocken, wie sich später zeigen sollte.
Wir fuhren dicht am linken Tonnenstrich. Regelmäßig überholten uns bis zu 400 m lange Frachter mit deutlich weniger als 50 Meter Abstand. So nah kommt man ihnen nur selten. Auf Grund ihrer geringen Geschwindigkeit war weder Sog noch eine Bugwelle zu spüren. Immer wieder ermahnte mich der Pilot mit Gesten, ich möge näher an die Tonnen heranfahren und die Geschwindigkeit erhöhen. Glücklicherweise gibt er nur Ratschläge. Die letzte Verantwortung liegt bei mir. Kurs und Geschwindigkeit wurden beibehalten.
Als sich der Kanal aufspaltete, zeigte sich die Schwierigkeit bei der Kommunikation mit dem Piloten erneut. Unterstützt durch den Google Translator fragte ich ihn auf englisch, arabisch und mit Gesten, ob ich – wie vermutet – den linken Kanal benutzen soll. Seine Antwort: “OK”. Gut, dachte ich mir, zur Sicherheit die Gegenprobe: “Sollen wir den rechten Weg benutzen?” Seine Antwort: “OK”
So langsam wurde ich ärgerlich und schraubte meine Contenance bewusst etwas zurück. Vielleicht versteht er ja meine nonverbalen Signale. Vergebens. Ich entschied mich für die linke Seite.
Schließlich näherten wir uns Ismailia. Die Infrastruktur am Kanalrand wurde dichter. Hin und wieder segelte sogar ein Fischer mit einem aus alten Plastiksäcken genähtem Segel vorbei.
Gegen 15:00 Uhr legten wir in der Marina Ismailia an. Das für heute vorgesehene Passieren des halben Kanals ist geschafft. Wir versuchten, zunächst wie empfohlen längsseits anzulegen. Als der Kiel dabei leicht im Schlamm aufsetzte, entschied ich mich für die klassische Variante mit der weit entfernten Mooringboje.
Als der Agent mit minimalem Trinkgeld von Bord ging, konnte er plötzlich sehr gut kommunizieren und seinen Unmut zum Ausdruck bringen. Ich wählte die Nummer des Agenten, der das Problem netterweise für mich löste.
Marina Ismailia
Hier durften wir das Gelände der Marina betreten. Ihre Ausstattung überraschte mich positiv. Es ist keine Luxus-Marina, aber es gibt alles, was man benötigt: Toiletten, Duschen, Waschmaschine, Wasser, Strom, Lieferservice, eine Bar und ein Restaurant. Alle Ausgaben wurden von der Marina übernommen und am Ende abgerechnet. Dazu konnte ich sogar die Visa-Karte nutzen. Das kam mir sehr entgegen. Unsere knapp kalkulierten Bargeldbestände sind auf Grund des fast doppelt so hohen Dieselpreises am Limit.
Noch am ersten Abend gruben wir aus der tiefsten Ecke der Aurelia das Landstromkabel heraus. Dieses hatte ich das letzte Mal an Heilig Abend 2020 in Panama im Einsatz, als wir mit einem opulenten Weihnachtsessen die Akkus in die Knie zwangen. Dann konnten wir den Heizlüfter anstellen und uns endlich einmal durchwärmen.
In der Marina lagen drei weitere Segelyachten. Zwei davon waren größere Schwestern der Aurelia. Sie waren kurz vor uns in den Kanal eingefahren, mit über 100 PS jedoch deutlich schneller als wir. Lane und Kai auf der SY Mai Tai hatten wir schon in Port Ghalib getroffen.
Auf Grund der Pandemie hat das Restaurant nur tagsüber für wenige Stunden geöffnet. Für ein gemeinsames Essen von vier Crews machte der Betreiber jedoch eine Ausnahme und bescherten uns ein Was-Weiß-Ich-Wie-Viele-Gänge-Menü, das offensichtlich die gesamte Speisekarte abdeckte.
Suezkanal, zweiter Teil
Am Morgen des 16. März brachen wir zum zweiten Teil der Kanaldurchquerung auf. Wir bekamen einen neuen Pilot an Bord, mit dem wir deutlich besser kommunizieren konnten. Das hatte allerdings den Nachteil, dass ich regelmäßig aufgefordert wurde, schneller zu fahren. Ich musste schon ein gewisses Maß an Sturheit aufbringen, um keinen erneuten Motoralarm zu riskieren. Vorteilhaft wiederum war, dass er gern am Steuer stand. Nach anfänglicher Skepsis konnte ich so einen ruhigen Tag genießen.
Zunächst ging es vorbei an zwei riesigen Bildern, die ein gewisses Maß an Personenkult erkennen ließen. Der Pilot machte nicht den Eindruck, dass er darauf steht. So habe ich schnell wieder vergessen, wer darauf abgebildet ist. Viel wichtiger war ihm die Anmerkung, dass die beiden Gotteshäuser dahinter nebeneinander liegen und zumindest hier Christen und Muslime gut miteinander auskommen.
Segeltechnisch unterschied sich unsere Fahrt durch den Kanal kaum von der ersten Hälfte. Gegen 14:30 Uhr waren wir am Ende angelangt. Ein kleiner Schlepper fuhr dicht neben uns und übernahm den Piloten. Er bekam für seine Dienste neben der allgemein übliche Entlohnung von 30 USD unsere restlichen Ägyptischen Pfund. Nachdem wir den letzten Kilometer des Kanals alleine zurückgelegt hatten, war es geschafft.
WIR SIND IM MITTELMEER!!!
So langsam wird mir bewusst, dass das Ende einer Weltumsegelung kein Big-Bang sondern ein schleichendes Ende werden wird. Als nächstes erreichen wir meine Heimat-Union, die EU, dann das geografische Europa. Danach werde voraussichtlich ein paar Tage in die Heimat zurückkehren, bevor ich im Frühsommer die eigene Kiellinie im Atlantik kreuze.
Fischer und Wellen
Die richtige Action begann erst nach dem Kanal. Zunächst folgte ich weiter dem Tonnenstrich, bis mir ein uns überholender Frachter mit seinem Horn unmissverständlich zu verstehen gab, dass er jetzt beschleunigt. Wir wichen nach links aus. Trotzdem schüttelten uns seine Bugwellen durch und ließen meinen Adrenalinspiegel ansteigen. Das war gut so, denn wenige Minuten später gerieten wir in einen Bereich mit etwa 10 Fischerbooten, die ihre Netze mit unbekannter Länge hinter sich herzogen. Sie fischten munter kreuz und quer, ohne auf die Containerschiffe und Tanker Rücksicht zu nehmen. Auf uns achteten sie schon gar nicht. Ich hatte etwas Sorge, dass wir mit unserer Schraube in ein Netz gerieten. Das blieb glücklicherweise aus. Lediglich ein Fischerboot kreuzte so knapp vor unserem Bug, dass ich mein Horn das erste Mal seit Silvester in Panama City benutzen musste.
Irgendwann war auch dieser Spuk vorbei und wir konnten Kurs auf Zypern einschlagen. Kreta – unser eigentliches Ziel – war in den folgenden Tagen von Stürmen mit bis zu 50 Knoten Wind umgeben. Das ist weder etwas für die Aurelia, noch für ihren Skipper.
Der Tag und damit auch Ägypten und Afrika verabschiedeten sich mit einem wunderschönen Sonnenuntergang, in dem genau die “Ever Given” an uns vorbeizog, die vor etwa einem Jahr tagelang den Suezkanal blockiert hatte.
Mehr über unsere Zeit auf Zypern, das uns gleich zu Beginn mit einem Hubschrauber begrüßte, erfahrt ihr im nächsten Logbucheintrag.